SERAPEUM.
Zeitschrift
für
Bibliothek wissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Litteratur.
Im Vereine mit Bibliothekaren und Litteraturfreunden
herausgegeben
von
Dr. Robert Naumann.
No 17.
Leipzig, den 15. September 1847.
Ueber die Ausgabe des Codex Friderico - Augustanus von Herrn Professor Dr. Tischendorf in Leipzig.
(Beschluss.)
In S. 12. endlich kommt der Vf. noch auf den Text unsers Codex zu sprechen und berichtet, wie er Anfangs auch darüber sich zu verbreiten beabsichtigt und unter Vergleichung des kritischen Apparats von Holmes schon Vieles für diesen Zweck gesammelt, später aber in Erwägung der Schwierigkeit, die mit einer kurzen und fruchtbaren Darstellung einer so verwickelten Sache verbunden sei und in der Hoffnung, dass bald Andere sich dem Geschäfte unterziehen würden, den Plan wieder aufgegeben habe. Zugleich aber spricht er die Erwartung aus, dass diese Untersuchung gewiss dazu dienen werde, das Verdienst des Origenes um die Verbesserung der LXX anch in Bezug auf die Bücher der Chronik, Esras, Nehemias und Esther in helleres Licht zu setzen; denn nicht ohne besondere göttliche Fügung sei es geschehen, dass in dem Codex F. A., der nach ausdrücklichem Zeugniss des Codex selbst nach den Hexaplis corrigirt sei*), gerade jene Bü
*) In den schon erwähnten Noten zum Nehemias und Esther nämlich ist bemerkt, dass jenes alte Exemplar des Pamphilus, mit welchem der Codex F. A. verglichen worden, von Pamphilus selbst nach den Hexaplis des Origenes berichtigt worden sei.
VIII. Jahrgang.
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cher enthalten seien, auf welche sich die bisher bekannten Fragmente der Hexapla entweder gar nicht oder nur zum geringsten Theile erstreckten. Und gewissermaassen als Beleg dafür wird für das B. Esther insbesondere auf den Codex Arundelianus (93, b. bei Holmes - Parsons) verwiesen, der eine Menge mit dem Asteriscus des Origenes bezeichnete Lesarten darbiete, die sich in den Noten des Codex F. A. wiederfänden. In Bezug aber auf die Blätter der Chronik wird noch bemerkt, wie diese zur vollkommenen Bestätigung der Klage dienen könnten, die schon Hieronymus über die fehlerhafte Schreibart der hebr. Eigennamen in diesen Büchern, sowie überhaupt über die Verkehrtheit seiner Zeit, die lieber schöne, als correcte Handschriften haben wolle, zu erheben veranlasst gewesen sei. Eben daran aber schliesst sich zuletzt noch die Warnung des Vfs., mit solchen offenbaren Fehlern der bibl. Handschriften nicht die Besonderheiten der alexandr. Orthographie und Grammatik zu verwechseln, welche Besonderheiten durch die neuerdings entdeckten Papyrus nicht nur nicht widerlegt, sondern noch mehr bestätigt würden.
In Bezug auf den letzteren Punkt hat Ref. bereits oben sein Einverständniss erklärt; was aber die Textesfrage bei weitem die schwierigste von allen betrifft, so masst auch er sich nicht an, hierüber ein tief eingehendes, erschöpfendes Urtheil abzugeben, sondern begnügt sich, nur einige allgemeine Beobachtungen mitzutheilen, die er bei der Durchsicht des Codex gemacht hat. Dabei aber ist es nöthig, zwischen den verschiedenen Theilen des Codex zu unterscheiden und jeden derselben in besondere Betrachtung zu ziehen. Denn theils ist schon der ursprüngliche Text nicht überall derselbe, sondern namentlich im B. Tobias ein sehr abweichender und eigenthümlicher, theils scheinen auch die Correctoren des Codex in verschiedenen Büchern aus verschiedenen Quellen geflossen zu sein. Wenigstens ist von dem Exemplare des Pamphilus. mit welchem unser Codex verglichen worden sein soll, zu Ende des B. Esther ausdrücklich bemerkt, dass dasselbe nur die Stücke vom 1. B. der Könige bis zum B. Esther enthalten habe; es konnte also auch nur in diesen Stücken dem Corrector des unsrigen als Original dienen, während für andere Bücher andere Quellen benutzt werden mussten.
Betrachten wir also zunächst die Stücke von dem Fragmente der Chronik bis zum B. Esther, so ist die wichtigste Erscheinung, die gleich auf den ersten Blättern der Chronik von selbst in die Augen springt, aber auch durch alle folgende Blätter bis zu Ende des B. Esther bestätigt wird, jedenfalls diese, dass der ursprüngliche Text des Codex F. A. mit keinem andern Codex häufiger zusammenstimmt, als mit dem Cod. Vaticanus. eine Erscheinung, die schon allein hinreicht, um den hohen Werth des neuentdeckten Schatzes über allen
Zweifel zu erheben. Die Beweise für diese Uebereinstimmung sind auf jedem Blatte des Codex, innerhalb der angegebenen Grenzen so zahlreich, dass schon die flüchtigste Vergleichung derselben mit den Varianten, die Holmes aus dem Cod. Vatic. giebt*), einen Jeden davon überzeugen muss, und nur das Eine sei noch erwähnt, dass diese Uebereinstimmung sich gerade da am glänzendsten bewährt, wo man sie am wenigsten erwarten sollte, in der Schreibart der hebr. Eigennamen. z. B. die Namensvzereichnisse 1 Par. 11. 12. 14. 15. 2 Ezr. 10. Man vgl. Neh. 7, 10. u. s. w. Daher stimmt denn auch in allen den St., wo der Cod. Vatic. von dem Alexandr. und Basilio-Vatic. (n. XI. bei Holmes) abweicht, der Codex F. A. viel häufiger mit dem erstern gegen die letzteren, als umgekehrt mit den letzteren gegen den ersteren, während an solchen St.,_wo jene Codd. alle zusammentreffen, der Cod. F. A. deren Zeugniss fast immer auch durch seine Zustimmung bekräftigt. Nicht selten aber bietet derselbe Codex auch Lesarten die nicht nur vom Cod. Vatic., sondern auch von allen übrigen Codd. bei Holmes abweichen und demnach zur Zeit noch als ganz eigenthümlich erscheinen. Anlangend nun aber den Text der verschiedenen Correctoren, so kommen die zweite und fünfte Hand hier darum weniger in Betracht, weil sie, wie schon oben bemerkt, sich meist nnr auf Verbesserung wirklicher Fehler beschränkten. Dagegen bieten die Correcturen der dritten Hand, die grösstentheils in längern oder kürzeren Zusätzen bestehen, im Esras und Nehemias einen Text, der am meisten mit den Codd. 19. 93. 108. (zuw. auch 121.) bei Holmes und Ed. Compl. übereinstimmt, nur dass der erste dieser Codd. zum Nehemias von Holmes nicht verglichen ist. Im Buche Esther aber ist es, wie schon der Vf. bemerkte, vor allen andern der Cod. 93, b. mit dem die Zusätze des Fr. Aug. zusammenstimmen, nur mit dem Unterschiede, dass in dem letztern meist die Asterisi und andere Zeichen fehlen, die der erstere (obwohl auch nicht immer von erster Hand, s. Parsons praef. ad Esth.) enthält. Die vierte Haud aber tilgte zwar viele von den Zusätzen der dritten Hand, scheint aber doch diejenigen, die sie stehen liess, gebilligt zu haben und überhaupt einen mit dem Texte der dritten Hand verwandten Text vorauszusetzen. Denn auch die übrigen Lesarten, die der Vf. ausdrücklich als von der vierten Hand herrührend bezeichnet hat, stimmen grösstentheils mit den oben genannten Codd. bei Holmes überein. So z. B. 2 Ezr. 10, 3. yɛvvæμɛva für yevóueva mit 121. (236) Compl. Neh. 9, 13. oival für ova mit 93., Esth. 5, 8. Tyv avorov 8, 13. (Fol. 18, a. c. 1. l. 4. ab imo) owrygia μev tav Evvoovv
*) Wo nämlich dieser, was sehr häufig der Fall ist, von der Ed. Rom. abweicht.
των τοις, 9, 17. δια γαρ τουτον sämmtlich mit 93, b. (die bei den letzten St. ähnlich auch in Cod. Alex.). Einzelne Lesarten indessen treffen auch mit dem gewöhnlichen Texte zusammen, wie Neh. 7, 13. das Zahlzeichen @ statt ɛvɛvynovτa Esth. 8, 13. ευγνωμοσύνην statt επιγνωσιν, oder weichen nach andrer Seite hin ab, wie Neh. 4, 12. as nuas für ε nuas; doch sind alle diese Lesarten noch nicht hinreichend, um ein zuverlässiges Urtheil zu begründen. Was aber zuletzt noch die Frage betrifft, ob der Text des Codex F. A. in den eben genannten Büchern nach den Hexaplis des Origenes_corrigirt sei oder nicht, so ist dieselbe in Bezug auf den Text der ersten und zweiten Hand ebenso gewiss zu verneinen, als in Bezug auf den der dritten Hand zu bejahen. Und ebendamit steht auch das angeführte Zeugniss des Codex selbst im vollkommensten Einklange, sobald wir dasselbe, wie oben geschehen, als von der dritten Hand herrührend annehmen. Dass nämlich zuvörderst die Correcturen d. h. namentlich die Zusätze der dritten Hand in der That aus einem hexaplarischen Texte geflossen seien, ergiebt sich, wie der Vf. vollkommen richtig erkannte, aus der grossen Uebereinstimmung, in welcher im Bich Esther diese Zusätze mit denjenigen Lesarten des Codex 93, b. stehen, die dort mit dem Asteriscus bezeichnet und gewiss als hexaplarisch zu betrachten sind. Eine ähnliche Uebereinstimmung aber findet, wie bemerkt, auch im Esras und Nehemias zwischen den Noten des Cod. F. A. von dritter Hand und den Lesarten der Codd. 19. 93. 108. Statt, welche letzteren Lesarten, obwohl in der Regel nicht mit dem Asteriscus bezeichnet, doch insofern ebenfalls als hexaplarisch betrachtet werden dürfen, als sie dem Hebräischen entsprechen und dieselben Codd. auch anderwärts bie und da hexaplarische Zusätze enthalten (vgl. über Cod. 19. Holmes praef. ad Pent. über Cod. 91. Parsons praef. ad I. Ruth. und über Cod. 108. denselben im Append. ad 1. et 2. I. Parall.) Und in wiefern nun die Lesarten dieser Codd. durch die Noten des F. A. theils eine wichtige Bestätigung, theils in manchen Stellen auch eine weitere Ergänzung erhalten, so haben wir in der That alle Ursache, uns mit dem Vf. einer solchen Bereicherung der hexaplarischen Fragmente zu freuen. Dass dagegen der ursprüngliche Text unsers Codex (von erster and zweiter Hand, da auch die zweite Hand in Bezug auf den Text mit der ersten wesentlich übereinstimmt) gewiss kein hexaplarischer war, lässt sich nun zwar schon daraus schliessen, dass die hexaplarischen Lesarten erst durch die dritte Hand in den Codex gebracht wurden; aber auch wenn wir diesen Schluss nicht ziehen könnten, würde es an Beweisen dafür nicht fehlen. Dahin nämlich gehört schon die angegebene Verwandtschaft jenes Textes mit dem Codex Vatic., von welchem bisher allgemein und nicht ohne Wahrscheinlichkeit angenommen
worden ist, dass er nicht einen hexaplarischen Text, sondern die sogenannte xový exdoois enthalte. Sodann aber zeigt jener ursprüngliche Text, ach an und für sich betrachtet, fast_nirgends eine Spur einer hexaplarischen Berichtigung. Denn wenn gleich derselbe manche Zusätze enthält, die im gewöhnlichen Texte (der Ed. Rom.) fehlen, und noch häufiger Stellen aslässt, die in jenem gefunden werden, so haben doch weder jene Zusätze noch diese Auslassungen etwas gemein mit den Noten, die Origenes mit dem Asterisus oder mit dem Obelas bezeichnete. Denn die Zusätze fehlen und die Auslassungen stehen in der Regel im hebräischen Texte, so dass beide nicht in einer Recension nach dem Hebräischen, wie sie Origenes unternahm, sondern in ganz andern Dingen ihren Grund haben müssen.*) Und ebendaher kommt es auch, dass die Zusätze von den Correctoren meist mit Punkten und Klammern versehen, die Auslassungen aber am Rande ergänzt sind. Nur sehr wenige Stellen finden sich, wo schon der ursprüngliche Text eine Lesart hat, die im Hebräischen steht, aber in andern Codd. fehlte und darum im Texte selbst von dritter Hand mit dem Asteriscus bezeichnet wurde. So namentlich Neb. 7, 72. (Fol. 9, b. c. 1.), wo die ganze Stelle na ɛdwκαι εδω diaxoGlas und Esth. 1, 16. (Fol. 14, a. c. 1. l. 13.) wo das W. αστιν vor η βασιλισσα mit jenem Zeichen versehen ist. **) Aber diese wenigen Beispiele können natürlich nichts für eine hexaplarische Recension des ursprünglichen Textes beweisen.
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Wenden wir uns nun von den Ueberresten der kanonischen Geschichtsbücher zu dem Fragment des Tobias, so enthält die
*) Oft bestehen die Zusätze nur in Wiederholung vorhergegangener Worte, wie 1 Par. 12, 4. 19, 7. 2 Ezr. 9, 15. Neh. 8, 1. 5. 9, 2. 6. 12, 47. Esth. 9, 30. u. s. w., und ebenso haben die Auslassungen ihren Grund oft nur in der Wiederholung Eines oder mehrer Worte, welche das Ueberspringen der in der Mitte liegenden Worte veranlasste, 2 Ezr. 10, 7. 17. Neh. 3, 7. 15. u. ö. An andern St. bedarf der Grund der Einschaltung oder Auslassung noch weiterer Untersuchung; übrigens aber trifft auch in den Auslassungen der Cod. F. A. meist init Cod. Vatic., zuweilen auch mit Cod. Alex. u. a. zusammen.
**) An der ersten St. hat auch Cod. 74. den Asteriscus, während Cod Alex. u. 71. die Worte ganz weglassen; an der zweiten St. aber fehlt dasselbe aotiv in 44. u. 106. Ausser diesen zwei Stellen aber findet sich in Cod. F. A. der Asteriscus nach Esth. 4, 5. (Fol. 15, a. c. 4.) am Rande mit der Note εις την πλατειαν της πόλεω (s ist abge rissen) η εστιν κατα προσωπον της πύλης της πολεως. Dagegen Neh. 12, 14. (Fol. 12, a. c. 2. l. 18. ab imo) findet sich zwar die Figur des Asteriscus, aber nicht als kritisches Zeichen, sondern als Verweisung auf eine Randnote, wie diess auch in andern Codd. zuweilen der Fall ist, vgl. über den Cod. Lips. Bahrdt praef. ad Hexapl. und dasselbe gilt in unserm Codex noch viel häufiger von der Figur des Obelus (~) and Lemniscus (÷).
ses, wie schon bemerkt wurde, einen ganz eigenthümlichen und zeither unbekannten Text. Einzelne Lesarten zwar (d. i. Abweichungen von der Ed. Rom.) finden sich auch in andern Codd. (am häufigsten in 86. 106., sodann auch in 44, 74. u. a.), zuweilen auch nur in der alten latein. Uebers. (wie 1, 3. ev en aixμadwóra, in captivitatem, vgl. auch 1, 10. 13. 15.), aber die Mehrzahl derselben wenigstens bei Holmes noch aus keiner der bisher bekannten Quellen notirt. Ref. hat sich in dem kurzen Abschnitte, den das Fragment enthält, gegen 60 solcher Lesarten angemerkt, die zum grossen Theil in längeren oder kürzeren Zusätzen oder wesentlichen Umgestaltungen des gewöhnlichen Textes bestehen. Und einen ähnlichen Text. wie der erste Schreiber, scheint auch der Corrector vor Augen gehabt zu haben. Denn obgleich derselbe Manches nach dem gewöhnlichen Texte berichtigte (vgl. z. B. 1, 2. wo ɑvo vor yalalala gemissbilligt wird, ib. 5., wo statt der Texteslesart παντες οι αδελφοι μου die gewöhnliche Lesart πασαι αι φυλαι Sauale hergestellt ist, ib. 6., wo die im Texte ausgelassenen Worte παντων των γενημάτων am Rande nachgetragen sind, u. s. w.), so liess er doch bei weitem die meisten Zusätze und Varianten der ersten Hand entweder ganz unberührt, oder besserte nur Einzelnes nach und vermehrte sie wohl gar noch mit neuen Zusätzen (Vgl. bes. 1, 7. 10. u. 22.)
Was nun endlich noch den Jeremias, sammt den Klageliedern, betrifft, so ist hier leider eine Vergleichung des Cod. F. A. mit dem Vatic. darum für jetzt unmöglich, weil Holmes zu den Propheten keine Collation_des letzteren besass. Anlangend aber das Verhältniss des F. A. zu andern Codd., und zwar zunächst zu den Uncialen (Alex. Marchal. u. Venet. I.), so stimmt derselbe ungefähr ebenso oft mit diesen gegen die Ed. Rom., als umgekehrt mit der Ed. Rom. gegen jene. Unter den Minuskeln aber sind es besonders 26. 106. u. 144., die vor andern häufig mit dem Cod. F. A. zusammentreffen; doch giebt derselbe auch im Jeremias eine Menge Lesarten, die zur Zeit noch aus keinem andern Codex notirt sind. Die Correcturen ferner, die hier meist von dritter, zuweilen (z. B. 43, 25. 52, 12.) auch von fünfter Hand *) herzurühren scheigen, bestehen zum grössten Theile nur in Verbesserung wirklicher Fehler oder in kleinern Veränderungen, Zusätzen und Auslassungen, sehr selten in längeren Zusätzen (vgl. z. B. 41, 17. und die eben angeführten Correcturen der fünften Hand). Sie scheinen demnach einen von der ersten Hand nicht wesentlich verschiedenen Text vorauszusetzen und finden
*) Die vierte Hand soll nach Proleg. §. 4. die Blätter des Jeremias nicht berührt haben; doch bemerkt der Vf. selbst an einigen St. (z. B. 21, 2.4.), dass die Lesarten der dritten Hand von der vierten getilgt seien.