Steven Avery
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Konstantin Tischendorf und Konstantin Simonides.
Vor einigen Monaten erschien in Leipzig*) unter dem Titel „Constantin Tischendorf in seiner fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen Wirksamkeit. Literar-historische Skizze von Dr. J. E. Volbeding" eine Schrift, die einiges Aufsehen erregte und auch uns zu denken gab. Unser erster Gedanke war Ueberraschung, unser zweiter Erinnerung an den Erfahrungssaß, nach welchem jede Regel ihre Ausnahmen hat, und dazu gesellte sich als dritter eine hübsche Geschichte, die uns kurz vorher von einem gelehrten Freund erzählt worden war. Wir waren überrascht aus mehren Gründen. Zunächst weil der auf dem Titel genannte Herr Verfasser seinem eigentlichen Lebènsberuf nach uns nur als Redacteur eines Pfennigmagazins für die Jugend bekannt nicht gerade zum Beurtheiler von Leistungen auf dem Gebiet paläographischer Forschungen geschaffen erscheinen wollte. Dann war es nicht gebräuchlich, wenigstens selten, daß man große Männer schon bei Lebzeiten zum Gegenstand lobender Biographien in Buchform macht. Endlich lebte der „Literarhistoriker“ Volbeding in Leipzig, woselbst das Object seiner Verehrung ebenfalls seinen wesentlichen Wohnsig hatte, und da fiel uns denn der Spruch ein, nach welchem der Prophet in seinem Vaterlande nichts gelten soll.
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Indeß, so dachten wir ferner, feine Regel ohne Ausnahmen, und so mögen auch diese passiren, zumal wir durch sie erfahren, daß wir es hier nicht blos mit einem großen, sondern mit einem sehr großen Manne zu thun haben, so zu sagen mit einem Wohlthäter der Menschheit. Weshalb sollte ein Herausgeber der Leipziger Kinderzeitung nicht sein Herzenswinkelchen haben dürfen, in welchem er sich für den Handel mit alten Codices, Palimpsesten und ähnlichem Apparat gelehrter Theologie interessirt? Und warum sollte man der Weisheit und Tugend, die man èntdeckt hat, nicht einmal gegen das Herkommen, schon während sie noch hienieden wandelt, das verdiente Ehrendenkmal sezen? Weshalb denn, so
*) Verlag von Carl Fr. Fleischer. Grenzboten I. 1863.
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fragten wir nach einem Blick auf die Einleitung, nicht ohne Verzug ans Werk gehen, wenn diese Weisheit und Tugend obendrein die Zuvorkommenheit hat, ihrem Bildhauer aus eigenen Mitteln den Marmor und das Erz zu seinem Monument zu liefern?
So lasen wir denn die Schrift weiter, und nicht ohne Befriedigung. Von Seite zu Seite gelang es mehr, in dem großen Gelehrten, den sie feiert, und den der Verfasser unmittelbar neben Erasmus und Cardinal Ximenes stellt, auch den großen Menschen und Christen zu erkennen, der immer nur die För derung der Wissenschaft im Auge hat, dessen kindlich frommes Gemüth nie an etwas Anderes als an den lieben Gott und das Himmelreich denkt, und der dafür in einer für unsre prosaisch calculirende Zeit an das Wunder streifenden Weise auch mit irdischen Gütern belohnt wird. Einige Mängel, welche das Buch hat, konnten bei der Rührung und Erbauung, welche solche Stellen gewährten, kaum auffallen.
Es ist wahr, das Referat über die Anerkennungen, die dem Betreffenden von hohen, höchsten und allerhöchsten Herrschaften, von Doctoren und Professoren, Herzogen, Königen, Kaisern aller Nationen, vom Lande, wo der Nordsternorden wächst, bis zu der Region, wo der Erlöserorden blüht, ja selbst vom heiligen - Vater und seinen Kardinälen zu Theil geworden, wirkt etwas ermüdend und ist vielleicht nicht von Interesse für Jedermann. Auch kam es uns vor, als ob von den 89 Seiten der Schrift die größere Hälfte sich mit jenen Anerkennungen statt, wie billig zu sein schien, mit Darstellung der Leistungen beschäftigte, für die sie ertheilt wurden. Allein was konnte der Verfaffer der Biographie dafür, daß der Anerkennungen so viele, daß ihrer etwa gar mehr waren als der Verdienste seines Helden? Es gibt in Deutschland hier deuten wir die oben erwähnte hübsche Geschichte an einen Gelehrten, der die ihm verliehenen zahlreichen Decorationen auf einem eigens dazu hingestellten Tischchen seiner Studirstube aufbewahrt und die Gewohnheit hat, seine Besucher durch allerlei kleine Manöver vor diesen anmuthigen Hausaltar zu dirigiren, wo er denen, die sich dies nicht durch unartige Gesten verbitten, den Inhalt zu zeigen und zu erläutern pflegt. Was kann dieser würdige und gelehrte Herr dafür, daß fürstliche Huld ihn ein Dugend Mal zum Ritter schlug?
Es ist ferner kaum zu läugnen, die Maffe der Mittheilungen über dieses reiche Leben ist nicht eben nach den Grundsäßen stilistischer Kunst geordnet, und weniger Wohlwollende als wir könnten sie fast eine wirre Masse nennen. Aber wer weiß, ob sie nicht ursprünglich besser zusammengestellt war? Und könnte die Verwirrung nicht dadurch hineingekommen sein, daß eine zweite wohlwollende Hand dem Manuscript in Randbemerkungen oder sonstwie ver gessene Auszeichnungen beifügte, und die Druckerei diese am unrechten Orte einschaltete?
Endlich ist. Einiges von den Thaten und Leiden des Heros, den die Schrift*) uns schildert, z. B. dessen Antheil an dem Streit über die Handschrift des Uranios und dessen am Felsen der Leipziger Hermashandschrift erlittener philologischer Schiffbruch nicht ganz so dargestellt, wie Sachkenner ohne Rücksichten, nicht befreundete Literarhistoriker es erzählen würden**). Weitere Ausstellungen drängte der Eindruck der wahrhaft wuchtigen Gründlichkeit des Herrn Volbeding zurück, einer Gründlichkeit, die auch das, was bei minder hervorragenden Männern für bedeutungslos und nicht der Rede werth gelten würde, sorgsam aufzeichnet, und die so weit geht, daß man an mehr als einer Stelle in Versuchung geräth, zu muthmaßen, das Buch sei nicht nur, wie man nach der Lectüre der ersten Seiten schon annehmen muß, von einem sehr vertrauten und sehr genau unterrichteten Freunde, sondern vom vertrautesten und am genauesten unterrichteten Freunde, den der Mensch zu haben pflegt, verfaßt — mit andern Worten eine Selbstbiographie.
Nur der Neid kann dieser Versuchung unterliegen, und wir sind nicht neidisch auf die Verdienste Tischendorfs und deren Belohnung. Wir sagten uns in Betreff jener Hypothese: Große Dinge loben sich immer, große Männer niemals selbst. Tischendorf ist ein großer Mann und Mensch, und wenn es vorgekommen ist, daß solchen von Freundeshand schon bei Lebzeiten ein Denkmal errichtet wurde, so ist es geradezu unerhört, daß in unsern Tagen ein solcher sich selbst eine Statue seßte oder auch nur die glättende Hand an deren Decorationen legte. So überwanden wir glücklich alle uns aufgestiegenen Bedenken und faßten den Beschluß, Ehre zu geben, dem Ehre zu gebühren schien: dem Verfasser der Biographie das Lob eines treuen Freundes, der Gefälligkeit mit Gewissenhaftigkeit zu verbinden versteht, dem Gegenstand seines Liebesdienstes eine Nische in der Walhalla, oder, da dies nicht von uns abhängt, eine verehrungsvolle Verbeugung und für fünftige Fälle die gelegentliche Bezeichnung: unser Tischendorf.
In dieser Gemüthsverfassung befanden wir uns bis vor Kurzem. Nun haben aber große Männer bisweilen nicht blos getreue und gefällige Freunde, sondern auch Feinde, leßtere vermuthlich nach göttlicher Zulassung nur zu dem Ende, daß ihre Größe sich im Kampfe herrlicher offenbare, und mit Betrübniß müssen wir vermelden, daß auch unser Tischendorf, unser Erasmus Feinde hat, und daß sich darunter nicht allein recht bittere, sondern leider auch einige recht respectable befinden, so daß man bei aller Geneigtheit zum Gegentheil nicht umhin kann, von ihren Urtheilen Notiz zu nehmen.
*) Die nach der soeben geäußerten Sypothese gewissermaßen palimpsestischer Natur wäre. **) Vgl. den Artikel „Der falsche Uranios und der Grieche Simonides", Grenzboten 15. Jahrg., 1. Semester, Seite 278 ff.
Wir meinen damit nicht die Recension Fallmerayers, die in Tischendorfs „Reise in den Orient" einen „wahren Abgrund von Gedankenleere, Marklosigkeit, Nichtigkeit und Zerfahrenheit“ entdeckte und in dem Verfasser einen „decorirten Wanderhelden" erblickte, „den gleichsam von der Schulbank weg die polirtesten Staaten Europas in die Wette mit ihrem Nischan Iftichar behängen." Wir sehen ferner von gewiffer Leute Meinungen über die späteren Reiseschriften des Betreffenden ab, Meinungen, die Aehnliches, wenn auch nicht in so unhöflicher Form wie der Fragmentist aussprachen. Ebensowenig gedenken wir für jezt die Stimme eines sehr achtungswerthen Gelehrten ausführlich reden zu lassen, welche sich vor einiger Zeit in der „Petersburger Zeitung“ dahin äußerte, das von Tischendorf beanspruchte Verdienst, die sinaitische Handschrift entdeckt zu haben, gebühre andern Reisenden. Endlich wollen wir auch diejenigen Gegner unseres großen Mannes vorläufig unerwähnt laffen, denen aus dem Orient das dunkle Gerücht zu Ohren gedrungen ist, das besagte Manuscript sei der russischen Regierung auf wesentlich andere Art gewonnen worden, als Tischendorf in seinem neuesten (beiläufig dem Anschein nach mehr für den Petersburger Hof als für ein deutsches Publicum berechneten) Reisebuch „Aus dem heiligen Lande" mit gesalbten Worten berichtet. Was wir meinen, ist der Angriff auf die Aechtheit jener sinaitischen Bibelurkunde, welcher vor Kurzem von dem Griechen Simonides ausgegangen ist, und die Stimmen des Zweifels, die infolge dessen in der englischen Presse laut geworden sind. Jener ist der obenerwähnte bittere Feind unseres Tischendorf, diese sind die respectabeln Gegner.
Ueber die Bedeutung, welche die in Rede stehende Urkunde vom Sinai für die biblische Textkritik beansprucht, brauchen wir hier nicht zu reden, da Tischendorf selbst in jenem Reisebuche, in der Allgemeinen, der Leipziger und, irren wir nicht, auch in der Illustrirten Zeitung sowie in einer Anzahl ähnlicher Blätter mit schönem Eifer Sorge getragen hat, daß die Welt darüber aufgeklärt werde. Dagegen müssen wir mit ein paar Worten das Gedächtniß an jenen Simonides auffrischen, wozu ein Auszug aus dem in der dritten Anmerkung genannten Auffaße d. Bl. dienen möge.
Im Juli 1855 erschien in Leipzig ein geheimnißvoller Grieche, der sich Konstantin Simonides nannte und eine Anzahl seltner Handschriften zu besißen vorgab. Mißtrauische Gemüther hatten darüber ihre Vermuthungen, indeß gelang es jenem, Einiges von seinen Schäßen an die Universität abzuseßen, wiewohl sich Bedenken erhoben, ob nicht wenigstens ein Theil davon unächt sei. Darauf brachte Simonides ein anderes Manuscript hervor: 72 Blätter einer ägyptischen Königsgeschichte des Alexandriners Uranios. Die Handschrift war`· ein Palimpsest, d. h. ein Pergament, auf welchem die ursprüngliche Schrift von spätern Abschreibern bis auf einen bleichen Rest der Züge abgewischt, und welches dann von neuem beschrieben worden war. Der Inhalt der zweiten
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Hand war unzweifelhaft ächt, der Inhalt der ersten wurde von Professor W. Dindorf trog dringender äußerer Verdachtsgründe ebenfalls für ächt gehalten und das Manuscript dem Simonides für zweitausend Thaler abgekauft. Herr Dindorf, in der gelehrten Welt als Herausgeber alter Autoren, an der Leipziger Börse als speculativer Geschäftsmann bekannt, beeilte sich, das Manuscript der Berliner Akademie für fünftausend Thaler anzubieten. Diese Körperschaft ließ. durch eine Anzahl ihrer Mitglieder eine Untersuchung vornehmen. Zwei große Namen zerlegten die Sache chemisch, ein großer Name mikroskopisch, mehre sehr große Gelehrte fritisch, und das Ergebniß war die Fälschung war auch gar zu geschickt gemacht die Akademie erklärte die Handschrift für ächt und be schloß, deren Ankauf zu befürworten. Da die hierzu nöthige Geldbewilligung nicht sofort zu erlangen war, und Dindorf wenigstens auf eine Anzahlung drang, so schoß Lepsius, der unter den Prüfern der Akademie gewesen war und das kostbare Manuscript herauszugeben gedachte, die erforderliche Summe vor und empfing dafür den Uranios. Bei näherer Betrachtung desselben entdeckte er jegt verschiedene bedenkliche Stellen. Namentlich war eine kühne Muthmaßung Bunsens, die eine Lücke in unsrer Kenntniß Urägyptens ergänzen sollte, von dem alten Griechen Uranios wörtlich in seine Geschichte aufgenommen worden. Der so entstandene Verdacht erhielt von Leipzig aus Bestätigung, indem Profeffor Tischendorf, der schon früher Zweifel an dem Werth des paläographischen Schazes geäußert und in diesen jezt durch Briefe des Simonides bestärkt worden, verdrießlich darüber, daß sein früheres Votum für irrelevant gegolten, an die „maßgebende Stelle" telegraphirte, die Handschrift sei unächt, und seine Beweise folgen ließ *). Der Schluß der Geschichte ist kurz: Lepfius mit Polizei in Leipzig Haussuchung bei Simonides - Entdeckung eines Apparats zur Verfertigung alter Manuscripte in deffen Wohnung Wiedereroberung der Dindorfschen zweitausend Thaler von dem schon zur Abreise gestiefelten Griechenjüngling großes Gelächter des nicht betheiligten Publicums und, nachdem dies verhallt, die ernste Lehre:
Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können irren!
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Simonides war nach kurzer Haft entlassen worden und nach England ge= gangen, wo er für uns verschollen schien, bis er am 3. September vorigen Jahres plöglich in einer Nummer des Blattes Guardian" wieder auftauchte und zwar mit nichts Geringerem als einem Protest gegen die Aechtheit der finaitischen Handschrift seines Namensvetters Konstantin Tischendorf, in welchem Protest
*) Die Briefe, welche den Ausschlag gaben, waren Tischendorf von dem Landsmann, Freund und Mitftrebenden des Simonides, Alexander Lykurgos verschafft worden, der mit jenem eine Zeit lang gewissen paläographischen Studien obgelegen, sich aber dann aus nicht genügend aufgehellten Gründen mit ihm entzweit hatte.
er behauptete, besagte Handschrift sei keineswegs ein Werk urchristlicher Zeit, sondern von ihm, Konstantin Simonides, selbst erst vor einigen Jahren angefertigt. Er erzählt:
„Gegen das Ende des Jahres 1839 wünschte der ehrwürdige Benedict, mein Oheim, geistliches Haupt des Klosters des heiligen Märtyrers Pantelimon auf dem Berg Athos, dem Kaiser Nikolaus dem Ersten von Rußland in dankbarer Anerkennung der Geschenke, die von Zeit zu Zeit dem Kloster des Mär. tyrers dargeboten worden waren, irgend eine Gabe vom heiligen Berge zu verehren. Da er nichts besaß, was er für annehmbar erachtete, berieth er sich mit dem Herold Prokopius und dem russischen Mönch Paul, und sie entschieden sich für eine Abschrift des Alten und Neuen Testaments, geschrieben nach alterthümlicher Weise in Anfangsbuchstaben und auf Pergament. Dies, zu= sammen mit den Ueberresten der sieben apostolischen Väter Barnabas, Hermás, Clemens, Bischof von Rom, Ignatius, Polykarp, Papias und Diony, sius Areopagita sollte nach ihrem Vorschlag in Gold gebunden und dem Kaiser durch einen gemeinsamen Freund überreicht werden. Dionysius, der eigentliche Schönschreiber des Klosters, wurde gebeten, die Arbeit zu unternehmen, lehnte jedoch die Aufgabe als allzuschwierig ab. Infolge dessen entschloß ich selbst mich, an das Werk zu gehen, namentlich da mein verehrter Oheim es lebhaft zu wünschen schien. Nachdem ich dann die wichtigsten der auf dem Berg Athos verwahrten Copien der heiligen Schrift untersucht hatte, begann ich mich in den Regeln der Schönschreibekunst zu üben, und der gelehrte Benedict nahm ein Exemplar der Moskauer Ausgabe beider Testamente (herausgegeben und den Griechen geschenkt von den berühmten Gebrüdern Zosimati), verglich es mit den alten und reinigte es auf diese Weise von vielen Jrrthümern, worauf. er es mir zum Abschreiben aushändigte. Nachdem ich so beide Testamente fehlerfrei empfangen (nur die alte Schreibweise war unverändert beibehalten), suchte ich mir, da es an Pergament mangelte, mit Benedicts Erlaubniß aus der Bibliothek des Klosters einen sehr dickleibigen, alterthümlich gebundenen Band heraus, der fast ganz ohne Schrift und dessen Pergament außerordentlich rein und schön gearbeitet war. Derselbe war offenbar vor vielen Jahrhunderten so zubereitet worden vermuthlich von dem Schreiber oder dem Vorsteher des Klosters, da er die Ueberschrift EKAOгION ПANHÃYPIKON (Sammlung von Lobgesängen) trug und außerdem eine kurze Abhandlung enthielt, die stark von der Zeit gelitten hatte.
Ich nahm also Besiß von dem Buch und machte mir's zurecht, indem ich das Blatt mit der Abhandlung herausschnitt und verschiedene andere von Zeit und Motten beschädigte entfernte, worauf ich an meine Aufgabe ging. Zuerst schrieb ich das Alte und das Neue Testament ab, dann die Epistel des Barnabas und den ersten Theil der Pastoralschriften des Hermas, und zwar in Un
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zialen des Stils, der in der Kalligraphie dμpidékios heißt. Die übrigen apostolischen Schriften abzucopiren, lehnte ich, da es an Pergament zu mangeln anfing, ab, und der schwere Verlust, den ich durch das Ableben Benedicts er litt, veranlaßte mich, das Werk sofort dem Buchbinder des Klosters zur Wiedereinfügung in die ursprüngliche mit Leder überzogne Holzschale zu übergeben, welche ich der größern Bequemlichkeit halber abgenommen hatte und als dies geschehen, nahm ichs in meinen Besit.
Einige Zeit nachher zeigte ich, nach Konstantinopel gezogen, die Arbeit den Patriarchen Anthimus und Konstantius und theilte ihnen den Grund mit, aus dem die Abschrift stattgefunden. Konstantius nahm sie an sich und bat mich, nachdem er sie gründlich geprüft, sie der Bibliothek des Sinaiklosters zu schenken, was ich denn auch zu thun versprach. Konstantius war früher Bi schof vom Sinai gewesen und war nach seinem Rücktritt von diesem Posten wieder und zwar für immer Bischof dieses Ortes geworden.
Kurz nachher wurde ich durch die Cooperation beider Patriarchen unter den Schuß der erlauchten Gräfin Etleng und ihres Bruders, A. S. Stourpas gestellt; aber ehe ich nach Odessa abreiste, ging ich nach der Antigonusinsel hinüber, um Konstantius zu besuchen und meinem Versprechen nachzukommen, nach welchem ich das Manuscript der Bibliothek des Berges Sinai geben wollte. Der Patriarch war indeß von Haufe abwesend, und ich ließ infolge deffen das Packet für ihn mit einem Briefe zurück. Bei seiner Rückkunft schrieb er mir folgende Antwort:
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Mein innigst geliebter Sohn im heiligen Geiste, Simonides, Gnade sei mit Dir und Friede von Gott. Ich empfing mit aufrichtiger Genugthuung Deine wahrhaft kostbare Abschrift der heiligen Schriften - nämlich des Alten und Neuen Testaments sammt der Epistel des Barnabas und dem ersten Theil der Pastoralabhandlungen des Hermas, in einen Band gebunden, welcher nach Deinem Wunsch in der Bibliothek des Berges Sinai niedergelegt werden soll. Aber ich ermahne Dich ernstlich (wenn Dù je nach Gottes Willen nach dem heiligen Berg Athos zurückkehren solltest) das Werk, wie Du ursprünglich gedachtest, zu vollenden, und Er wird Dir es lohnen. Sei bei mir den dritten nächsten Monats, damit ich Dir Briefe an den erlauchten A. S. Stourpas gebe, um ihn von Deinen Talenten und Fähigkeiten in Kenntniß zu seßen, und damit ich Dir einige Winke ertheile, welche für den Erfolg Deiner Pläne nüßlich sein könnten. Ich lebe der festen Zuversicht, daß Du geboren wurdest, um Deinem Vaterlande Ehre zu machen.
Insel des Antigonus, 13. August 1841.
Konstantius, einst Patriarch von Konstan tinopel, ein eifriger Anbeter in Christo. Nachdem ich den obigen Brief erhalten, ging ich wieder zum Patriar chen
welcher mir die gütigsten und väterlichsten Rathschläge ertheilte und Briefe an Stourpas hinzufügte. Darauf kehrte ich nach Konstantinopel zurück und begab mich von hier im November 1841 nach Odessa.
Im Jahre 1846 reiste ich nach Konstantinopel zurück, von wo ich sogleich nach der Antigonusinsel ging, um Konstantius zu besuchen und in seine Hände ein großes Packet von Manuscripten zu legen. Er empfing mich mit der größten Freundlichkeit, und wir unterhielten uns über eine Menge ver schiedener Dinge, unter Anderm auch über meine Abschrift, wobei er mich benachrichtigte, daß er dieselbe vor einiger Zeit nach dem Berg Sinai gesandt habe.
Im Jahr 1852 sah_ich_sie dort selbst und bat den Bibliothekar, mir zu fagen, wie das Kloster sie erworben; aber er schien nichts von der Sache zu wiffen, und ich meinestheils sagte nichts. Indeß untersuchte ich das Manuscript und fand es sehr verändert, indem es ein älteres Aussehen hatte, als es haben sollte. Die Widmung an den Kaiser Nikolaus zu Anfang des Buchs war weggeschafft worden. Ich begann hierauf meine philologischen Nachforschungen; denn es befanden sich in der Bibliothek mehre werthvolle Manuscripte, welche ich zu prüfen wünschte. Unter ihnen stieß ich auf die Pastoralschriften des Hermas, das heilige Evangelium nach St. Matthäus und die bestrittene Epistel des Aristeas an Philoftetes (alle auf ägyptischen Papyrus des ersten Jahrhunderts geschrieben)*) sammt andern der Beachtung nicht unwürdigen. Alles dies theilte ich Konstantius und später meinem geistlichen Vater Kallistratus zu Alexandrien mit.
Sie haben hiermit einen kurzen und klaren Bericht über den Codex Simonideios, welchen Profeffor Tischendorf bei seinem Aufenthalt auf dem Sinai, wie, weiß ich nicht, zu entführen verstand, und welchen er, nach St. Petersburg gegangen, dort unter dem Namen eines Codex Sinaiticus herausgab. Als ich vor etwa zwei Jahren die ersten Facsimilia Tischendorfs sah, die zu Liverpool durch Mr. Newton in meine Hand kamen, erkannte ich sofort mein eigen Werk, was ich ihm auch unverzüglich sagte.
Das Obige ist ein getreues Referat über Ursprung und Geschichte des berühmten Codex Sinaiticus, welchen Professor Tischendorf der gelehrten Welt als eine Handschrift des vierten Jahrhunderts aufgeredet hat. Ich habe nun nur noch ein paar Bemerkungen zu machen. Der Name des Kalligraphen des Klosters von St. Pantelimon war Dionysius, der Name des Mönchs, welcher
*) Hermas nichts zu sagen von Matthäus auf ägyptischen Papyrus des ersten Jahrhunderts geschrieben, er, der erst im zweiten Jahrhundert und in diesem ziemlich spät entstand! Ganz dasselbe Wunder, wie der alte Uranios, der den Ritter Bunsen ausschrieb. D. Red.
von dem Patriarchen Konstantius abgesandt wurde, um den Band von der Antigonusinsel nach dem Sinai zu bringen, war Germanus. Der Band wurde, während er in meinem Besiß war, von vielen Personen gesehen, und er wurde mit Aufmerksamkeit von Hadschi Johannes Prodromos, Sohn des Pappa Prodromos durchgegangen, welcher ein Geistlicher der griechischen Kirche in Trapezunt war. Johannes Prodromos hielt ein Kaffeehaus zu Galata bei Konstantinopel und hält es wahrscheinlich jezt noch. Der Brief vom Patriarchen Konstantius, welcher den Empfang des Manuscripts bestätigte, und ebenso die 25,000 Piaster, die Konstantius mir als Ausdruck des Dankes sandte, wurden mir von dem Diakon Hilarion überbracht. Alle die hier genannten Personen sind, wie ich glaube, noch am Leben und könnten Zeugniß ablegen für die Wahrheit meiner Angaben.
Von der innern Evidenz des Manuscripts will ich für jezt nicht sprechen. Jeder in der Paläographie Bewanderte muß auf den ersten Blick sagen können, daß es eine Handschrift der Gegenwart ist. Aber ich will doch erwähnen, daß mein Oheim es an vielen Stellen corrigirte und, da es nochmals abgeschrieben werden sollte, viele Buchstaben markirte, welche er illuminiren zu lassen beabsichtigte. Die Correcturen in der Handschrift meines Oheims kann ich natürlich aufzeigen und ebenso jene des Kalligraphen Dionysius. An verschiedenen Stellen merkte ich am Rande die Initialen der verschiedenen Manuscripte an, aus welchen ich gewisse Abschnitte und Lesartén entnommen hatte. Diese Initialen scheinen Professor Tischendorf sehr in Verlegenheit gefeßt zu haben, da er verschiedene höchst ingeniöse Methoden erfunden hat, um sie zu erklären. Endlich behaupte ich im Stande zu sein, obwohl ich die Handschrift Jahre lang nicht gesehen, zwei bestimmte Stellen in derselben aufzuzeigen, in welchen der über allem Zweifel erhabene Beweis liegt, daß es meine Schrift ist."
„Zum Schluß gestatten Sie mir meine aufrichtige Betrübniß auszusprechen, daß, während die vielen werthvollen Reste des Alterthums in meinem Besiß häufig meinen eignen Händen zugeschrieben werden, das eine arme Werk meiner Jugend von einem Herrn, der sich des Russ großer Gelehrsamkeit erfreut, für das älteste Exemplar der heiligen Schrift ausgegeben wird."
Tischendorf antwortete auf diesen Angriff in der Allgemeinen Zeitung" mit einigen kurz abweisenden Worten, und die deutsche Gelehrtenwelt schien dies in der Ordnung zu finden. Wenigstens schwieg sie unseres Wissens. Anders die englischen Theologen. Unter Anderm brachte am 11. September v. J. das „Clerical Journal" eine gutgeschriebene Verurtheilung der Aussagen des Simonides, und einige Monate später, am 17. Jan. d. J., erschien in Nr. 38 der Zeitschrift The Parthenon" ein Aufsaß, welcher mit Causidicus unterzeichnet war und anfänglich zu unserer nicht geringen Ueberraschung in gleichem Grade sowohl dem Konstantin Simonides als dem Konstantin
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Tischendorf den Glauben versagte. Im Folgenden das Wesentliche aus diesem anscheinend von aufrichtiger Wahrheitliebe dictirten Artikel, der zugleich die wesentlichsten Punkte des andern Journals wiedergibt. Caufidicus schreibt:
„Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden, der Kläger oder der Angeklagte in dieser literarischen Fehde am wenigsten vortheilhaft erscheint. Simonides weigert sich auf den außerordentlich unparteiischen und mild gehaltenen Artikel im „Clerical Journal" zu antworten, weil derselbe anonym ist, eine Entschuldigung so armseliger Art, daß selbst seine achtbare Großmutter darüber gelacht haben würde. Andrerseits ist die von Tischendorf in der „Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte Note noch bedauernswerther als die feigherzige Entschuldigung seines Gegners. Der Doctor reitet das hohe Pferd, aber feineswegs in der Weise eines Paladins. Von einem Mann, der nur durch seine Arbeiten auf dem untergeordneten Felde der Paläographie und der Sammlung von Manuscripten bekannt ist, sollte man einen gewissen Grad von Bescheidenheit erwarten, selbst wenn derselbe, was ich durchaus nicht zugebe, einen werthvollen Bibelcoder in einem Lappen entdeckt hätte. Aber die Approbation eines Czaren und das Interesse, welches das literarische Europa an seiner angeblichen Entdeckung genommen hat, haben den Manuscriptensammler augenscheinlich be wogen, die Miene eines literarischen alten Pistol anzunehmen. Er wundert sich, daß englische Journale sich um solch Zeug, wie die Angaben des Simonides, Gedanken machen. Wer hat ein besseres Recht? Wir in England trauen weder Tischendorf noch Simonides in einer so wichtigen Angelegenheit wie die Aechtheit eines biblischen Codex, von dem behauptet wird, er stamme aus dem höchsten Alterthum. In diesem Betreff hören wir beide Parteien ohne Voreingenommenheit und gestehen wir dem Doctor Tischendorf nicht ein Jota mehr zu als dem Doctor Simonides.“
„Gegen den Bericht des Simonides scheinen von den in dem verständigen und unparteiischen Artikel des „Clerical Journal" angeführten Gründen hauptsächlich folgende zu sprechen:
1. Simonides hätte, wenn das Manuscript wirklich sein Werk war, diese Thatsache unmittelbar nachdem die vermeintliche Entdeckung Tischendorfs zu seiner Kenntniß gekommen, bekannt machen müssen. Statt dessen verhielt er sich still bis zur elften Stunde und ließ die Bibelkritiker Europas in Täuschung befangen, ohne Rücksicht auf die Verschwendung von Arbeit und Kosten, welche sein Schweigen verursachte.
2. Die Zeit, welche Simonides bedurft haben will, um das Manuscript zu copiren, betrug ungefähr zwanzig Monate, ein Zeitraum, in welchem, wie es scheint, das Werk unmöglich zu Stande gebracht werden konnte.
3. Das Manuscript enthält Correcturen an achttausend Stellen, eine uns ermeßlich mühevolle Arbeit, für welche Simonides keine andere Art von Auf
klärung an die Hand gibt, als daß sein Oheim Benedict, früher Abt des Klosters St. Pantelimon auf dem Berge Athos, es an einigen (Simonides Lagt vgl. das Obige zweimal: an vielen") Stellen verbesfert habe."
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4. Das Manuscript soll dem St. Katharinenkloster vor
aber anscheinend
nicht lange vor dem Jahr 1846 übersandt worden sein. 1852 besuchte Simonides selbst das Kloster und sah dort die Handschrift. Er fragte den Bibliothekar, wie das Kloster dieselbe erlangt, eine Frage, die jener Beamte nicht beantworten konnte, obwohl die Zeit zwischen der Absendung des Manuscripts und jener Frage weniger als zehn Jahre betragen zu haben scheint. Simonides gibt zu, damals keinen Anspruch darauf gemacht zu haben, daß er das Manuscript geschrieben.
5. Im Jahr 1844 scheint Tischendorf im Katharinenkloster einen Theil der Handschrift gesehen zu haben, welche, wenn dies wahr wäre, damals in Bruchstücke zerrissen gewesen sein müßte. Simonides gibt an, daß er 1852 das Manuscript im Kloster ganz, aber sehr verändert“ gefunden, „indem es ein älteres Aussehen hatte, als es haben sollte;" denn es war ursprünglich auf die Blätter eines Pergamentbuchs geschrieben, welches „außerordentlich rein und schön gearbeitet war". 1859 will Tischendorf den Rest des Manuscripts „in einen Lappen eingewickelt" gefunden haben. Hier haben wir nur sich widersprechende Aussagen und (soweit wir mit bloßen Behauptungen zu thun haben) bin ich geneigt, dem Einen nicht mehr als dem Andern zu glauben,
6. Das Manuscript ist in Unzialen geschrieben, von denen die besten Paläographen zugeben, daß fie trefflich ausgeführt sind, und welche sie auf ein Datum nicht jünger als das vierte Jahrhundert zurückführen.
eine sehr wichtige Sache bei paläographischen Entschei
7. Die Tinte dungen scheint von hohem Alter zu sein, und dieser Schein kann, wie man meint, durch feine der jegt bekannten chemischen Agentien mitgetheilt werden."
„Nachdem wir die Gründe, aus denen sich auf Unredlichkeit auf Seiten des Simonides schließen läßt, erörtert haben, betrachten wir, um unsre Unparteilichkeit zu wahren, die Möglichkeit einer Täuschung (Causidicus braucht ein unzweideutigeres Wort, welches wir nicht adoptiren) auf Seiten Tischendorfs. Die Versuchung war ungeheuer. Der Name eines vorher unbekannten Mannes ohne hervorragendes Talent und Wissen (? vgl. Volbeding) mußte sofort in ganz Europa bekannt werden. Würden wir nicht in einer so boch wichtigen Angelegenheit feige handeln, wenn wir uns, von dem Geschrei mehrer hundert Bibelkritiker übertäubt, die Tischendorf verschlungen haben, wie einige von ihnen (Anspielung auf Ewald) früher Chwolson verschlangen, von der Untersuchung dieses möglichen Standes der Sache zurückschrecken ließen?"
Der Kritiker weist zunächst auf die vielen achtungswerthen Reisenden hin,
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welche das Katharinenkloster vor Tischendorf besucht haben, nennt namentlich Shaw, Pococke und Bankes und fährt dann fort: Ist es wahrscheinlich, daß das Tischendorfsche Manuscript, wenn es damals im Kloster gewesen wäre, den sorgfältigen und scharfsichtigen Blicken des Mr. Bankes entgangen sein würde? Ja, erwidern die Sachwalter Tischendorfs, sehr leicht hätte es ihnen ents geben können, insofern es in einen alten Lappen eingewickelt war. In einen alten Lappen! Wer hat jemals gehört, daß eine Bibelhandschrift in einem Mönchskloster in einen alten Lappen eingewickelt war? Ist das nicht ganz so unwahrscheinlich als irgend ein Theil des Geschichtchens von Simonides? Es ennert ung an michts se lebhaft als an Tousterswivels Schaß, der sorgfältig in eine alte Schnupftabakedoje versteckt war. Hätte es im Kloster ein Paar alte Lederhosen gegeben, kein Zweifel, daß Tischendorf sie sorgfältig nach Hand schriften untersucht bätte.
Ich meinestheils glaube weder an die Erzählung von dem „Lappen“, noch verwerfe ich sie. Sie ist wunderbar verdächtig, und die Versuchung zu einer Täuschung war über die Maßen groß. Aber sie ist wenigstens möglich, und so begnüge ich mich, sie in die Wagschale gegenüber dem verdächtigen Theil der Geschichte des Simonides zu werfen.
Betrachten wir jegt die Einwendungen, welche sich gegen die Erzählung den symiotischen Doctors darbieten. Seine Landsleute sollen die kühnsten Taucher der Welt sein. Sehen wir zu, ob er bei seinem Untertauchen in den Ocean der Literatur einen symiotischen Schwamm oder die Perle der Wahrheit aufgelesen hat. Die Einwürfe sind ernster Natur, ich gebe es zu; indeß könnten fie doch nicht gerade entscheidend sein.
1. Was das lange Schweigen des Simonides betrifft gegenüber seinem Anspruch, das angeblich alte Manuscript geschrieben zu haben, so müssen wir einige billige Rücksicht auf die hellenische und 'klösterliche Erziehung des Mannes und seine eigenthümlichen Jdiosynkrafien nehmen. Er ist jedenfalls nicht der Erste, welcher unter ähnlichen Verhältnissen ähnlich gehandelt hat, und nach dem, was mit seinem „Uranios“ pasfirt war, konnte er eine Art boshafter Befriedigung empfinden, Deutschland sich blamiren zu sehen, die ihn veranlassen konnte, die Leute eine beträchtliche Strecke gehen zu lassen, bevor er gegen Den einschritt, der ihn damals ruinirt hatte.
2. Daß ein Buch wie der Codex Sinaiticus in zwanzig Monaten abgeschrieben wurde, ist allerdings ein außerordentliches Factum. Aber bis der Beweis geführt ist, daß es unbedingt unmöglich war, wird dies keine genügende Entschuldigung sein, seine Erzählung zu verwerfen. Ein moderner Novellist versichert uns, daß er in vierundzwanzig Stunden jene hundert Novellenseiten erfand und schrieb, auf welchen sein ganzer literarischer Ruhm beruht, und denen er in den folgenden dreißigjährigen Arbeiten nie etwas Gleiches an die
Seite gestellt hat. Mag Jemand, mag der rascheste Schreiber sich mit der Aufgabe versuchen, hundert Seiten Novellen in diesem Zeitraum nur zu copiren, und er wird dann möglicher Weise entscheiden, daß die Leistung des Verfassers
ron Redwood" ganz so unglaublich ist als die von Simonides.
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3. Betrifft die achttausend Correcturen. Ziehe ich, wie ich mich um der Unparteilichkeit willen zu thun verpflichtet habe, alle Möglichkeiten in Betracht, so bin ich wohl berechtigt zu fragen: Wer gibt uns die Gewißheit, daß ́nicht der bei weitem größere Theil derselben das Werk Tischendorfs selbst ist? Er könnte ja das Manuscript des Simonides im Jahr 1844 im Kloster gesehen, sich seine Geeignetheit, für eine Handschrift weit älterer Zeit ausgegeben zu werden, bemerkt und in späterer Periode Alles hinzugethan haben, um ihr den Charakter des allerehrwürdigsten Alterthums zu geben."
4. Daß der „Bibliothekar" die Quelle nicht kannte, welcher das Kloster die Handschrift dankte, läßt sich leicht erklären. Burckhardt berichtet uns, daß die meisten Mönche von den griechischen Inseln stammen, daß sie in der Regel nicht länger als vier oder fünf Jahre im Kloster verweilen, daß nur wenige von ihnen arabisch verstehen, daß wenige auch nur das moderne Griechisch flieBend lesen, außer in ihren Gebetbüchern, und daß er nur einen fand, welcher einen Begriff vom Altgriechischen hatte. Er bemerkt, daß sie eine gute Bibliothek hatten, daß dieselbe aber stets verschlossen war, womit er natürlich meinte, daß die Mönche sich nie mit ihr beschäftigten. Können wir uns unter solchen Umständen wundern, wenn der „Bibliothekar“ des Jahres 1852 nichts von der Ankunft des in Rede stehenden Manuscripts gewußt haben soll? Dasselbe konnte ja mehre Jahre vor seiner eignen Ankunft gleichgültig in die „Biblio, thek geworfen worden sein, und sicherlich würden die guten Mönche ihm dann nie einen zweiten Blick zugewendet haben. Können wir uns wundern, wenn Simonides, ihre Gleichgültigkeit bemerkend, der Meinung gewesen wäre, daß irgend ein Anspruch auf Interesse an dem Manuscript von seiner Seite ebenso gut hätte an die Wände als an die Mönche gerichtet werden können?
5. Was den Zustand der Handschrift in den Jahren 1844, 1852 und 1859 anlangt, so ist das lediglich ein Fall sich widersprechender Berichte, und in der Bibelfrage darf Niemandes Aussage einen Gegner so stußig machen, daß weitere Untersuchung ein Ende hat.
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6. Rücksichtlich der Kalligraphie und der Anordnung des Manuscripts erinnere man sich, daß Simonides (wie mir scheint, ein Mann von unvergleichlich größerem Talent und Wissen, als Tischendorf je entwickelt hat) einmal ein Werk über ägyptische Geschichte angefertigt hatte, welches sich für eine Schrift des Uranios, des Historifers der Nabathäer ausgab, und welches von den Mit gliedern der Berliner Akademie für ächt erklärt wurde. Profeffor Dindorf, déssen Gelehrsamkeit im Griechischen und griechischer Paläographie stark hervor
zuheben lächerlich sein würde, und Dr. Lepsius, dessen Bekanntschaft mit ägyptischen Alterthümern heutzutage sicherlich nicht unterschäßt wird, waren ursprünglich unter denen, welche am eifrigsten an die Handschrift des Uranios glaubten. Ist es darum so gewiß, daß die, welche zugestehen, in der Sache des Uranios hinters Licht geführt worden zu sein, nicht gleichermaßen in Betreff des Codex Sinaiticus getäuscht worden sein könnten? Und ist es nicht von Seiten eines Mannes wie Tischendorf (wir mildern wieder den Ausdruck) sehr übel angebracht, ein vornehmes Gesicht zu machen, wenn englische Kritiker, bevor sie das Ansehen des angezweifelten Textes anerkennen, den Wunsch hegen, alle Belehrung zu besißen, welche über die Sache gesammelt werden fann?
7. Hinsichtlich der Tinte. Dieser scheinbar geringfügige Punkt möchte in Wahrheit mehr Gewicht häben als irgend einer der übrigen Einwürfe. Es ist klar, daß Simonides nicht Anspruch darauf macht, solche Tinte gebraucht zu haben, welche seinem Manuscript den Charakter des Alterthümlichen verliehen haben würde. Im Gegentheil, es sollte eine schöne und reiche Abschrift werden, geeignet zur Ueberreichung, als moderne Copie, an den Kaiser von Rußland. Ueber diesen Punkt erlaube ich mir keine Meinung zu äußern, obschon es mir nicht leicht fällt, mich zu überreden, daß solch einem Manuscript, wie Simonides es beschreibt, von einem Manne, der Paläographie zu seinem Studium gemacht, nicht nachträglich sowohl hinsichtlich der Tinte als des Pergaments der Anschein sehr hohen Alterthums hätte gegeben werden können.
Ich biete diese Bemerkungen im Geiste vollkommenster Unparteilichkeit sowohl in Bezug auf den symiotischen als auf den deutschen Doctor dar. Ich selbst würde auf die Autorität des Simonides hin gar keine Handschrift annehmen, und ich bin geneigt, auf die Autorität Tischendorfs hin keine ohne die allergenaueste Untersuchung anzunehmen. Was die deutschen gelehrten Zöpfe (pundits) anlangt, so sind sie einmal betrogen worden und könnten wieder betrogen sein."
So weit der Caufidicus des „Parthenon" Nun kurz unsre Meinung.
1. Die Engländer sind in dieser Streitfrage in zwiefacher Hinsicht nicht ganz unparteiisch. Einmal möchten sie nicht gern, daß ihrem Codex Alexandrinus, der frommer Sage zufolge von der heiligen Thekla, aber sicher im vierten oder fünften Jahrhundert geschrieben ist, die Palme des Alters streitig gemacht würde. Sodann könnte das Fehlen gewisser dogmatisch wichtiger Stellen des Neuen Testaments, durch die sich der Tischendorfsche Coder auszeich nen soll, hochkirchlichen Theologen sehr unbequem erscheinen.
2. Causidicus denkt ein wenig zu schnell. Er ist, wie es scheint, kein Fachmann. Er seßt im Eifer rielleicht zu starke Möglichkeiten. Seine Beweisführung mit den frühern gelehrten Besuchern des Katharinenklosters, welche die Handschrift nicht gefunden, ist schwach. Punkt 1 des folgenden Plaidoyers da
p. 215-216
gegen unterschreiben wir. Ebenso leuchtet Punkt 2 ein, und ließen sich dazu noch viel näher liegende Beispiele als der Autor von „Rockwood“ herbeischaffen. Die betreffende Handschrift würde, wie das „Clerical Journal" meint, in ihrer Vollständigkeit zwischen 1,100 und 1,200 Folioseiten, jede zu 4 Spalten gehabt haben, und diese in circa 600 Tagen vollzuschreiben, erfordert Fingerfertigkeit und Ausdauer, ist aber keineswegs unmöglich, so wenig unmöglich wie das Gedächtniß und die Beharrlichkeit Scaligers, der in 21 Tagen den ganzen Homer auswendig lernte. Die Hypothese in Punkt 3 können wir uns selbst in dieser Form entfernter Möglichkeit nicht gut aneignen, und statt der Denkbarkeit einer Täuschung substituiren wir lieber die Denkbarkeit des Getäuscht. seins. Der vierte Punkt des englischen Kritikers ist in der Ordnung, desgleichen der fünfte, und auch dem sechsten und für die innere 'Evidenz des Coder wichtigsten läßt sich leider nur insofern widersprechen, als wir die hier niedergelegte sehr günstige Ansicht von den Talenten und Kenntnissen des „Doctors" Simonides blos in Betreff der Talente unbedenklich finden.
3. Causidicus hat ferner auffallender Weise eine Erinnerung außer Acht gelassen, die seht für Simonides und gegen Tischendorf sprechen könnte, nämlich die seiner Zeit von dem Lezteren mit etwas mehr Zuversicht als Vorsicht ausgesprochne Verdammung des Leipziger Hermas-Manuscripts, das er für eine von Simonides fabrizirte Rückübersehung aus dem Lateinischen erklärte. Da der sinaitische Fund" einen jenem nahe verwandten Text bietet, se konnte der Uneingeweihte darin bis vor Kurzem leicht eine Bestätigung der Simonideischen Herkunft auch des Codex vom Sinai erblicken, und noch jest bleibt wenigstens ein Achselzucken hinsichtlich der philologischen Kenntnisse unseres Tischendorf und der Gedanke gestattet: wer beim Leipziger Manuscript so gröblich irrte, könnte ja auch beim sinaitischen sich getäuscht haben.
4. Die Behauptungen des Simonides über die Genesis der Handschrift erscheinen in einem mehr als zweifelhaften Lichte. Doch könnten seine Zeugen immerhin gehört werden. Das Kaffeehaus des Popensohnes' Hadschi Prodromos und der Berg Athos liegen zwar fern von Leipzig, aber doch nicht außer der Welt und außer dem Bereich der russischen Gönner Tischendoifs, und die Aussagen griechischer Kafedschis und Kaluger mögen sehr verdächtig, aber sie dürften hier doch einigermaßen beachtenswerth sein.
Unser Endergebniß. Ewald irrte schwer mit Chwolsons Fund, Lepsius und die ganze berliner Akademie mit Uranios-Simonides, Tischendorf mit dem Pastor Hermae der Leipziger Universitätsbibliothek. Es besteht, allerdings von wenig acht barer Seite angeregt, aber von respectabler Seite adoptirt, der Verdacht, daß die finaitische Handschrift möglicher Weise nicht so alt, als sie sein sollte, sondern - was nicht ohne Beispiel wäre -nur mit getreuer Copirung eines ältern Schriftcharakters geschrieben ist. Diesem Verdacht gegenüber vornehm thun, ist
nicht zu rathen. Vielmehr wäre zu dessen Beseitigung mindestens eine chemische und mikroskopische Untersuchung von competenter und nicht interessirter Seite allein von Nußen.
Und nun zum Schluß. Wir denken, vorläufig nicht. wir sind verstimmt.
Merklich erkältet senkt unser Wohlwollen die Flügel. Mühsam fortbeschworne Schatten kehren wieder, und von Neuem haben wir zu wehren, daß wir nicht den zu Anfang dieses Artikels geschilderten Versuchungen unterliegen. Also nicht mehr unser Tischendorf, unser Erasmus und Ximenes, und nicht eher wieder, als bis die Zweifel des Englishmans und die unsern widerlegt sind, wovon wir seiner Zeit nicht so sehr wegen des sinaitischen Fundes", der uns fühler läßt wie die Engländer, als im Interesse der Ehre deutscher Wissenschaft bereitwillig Notiz nehmen werden.
Aber wohlzubemerken: Causidicus hat seine Mängel, ist aber kein Simonides. Also nicht wieder das hohe Roß reiten, nicht kurz abtrumpfen. Nicht mit Worten, die mehr Selbstgefühl als Selbsterkenntniß athmen, sich um die Sache herumschlängeln, wie bei der Rücknahme des frühern Urtheils über das Hermas-Manuscript. Sondern glatte klare, ausführliche Gegenbeweise bringen; denn, wie die Grenzboten damals bei Gelegenheit der Uranios-Affaire nicht ohne einige Wehmuth sagten:
Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können irren!
Sollen wir ihn noch unsern Tischendorf nennen?
Man büßt ungern einen großen Mann ein, aber
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Merklich erfältet senkt unser Wohlwollen die Flügel. Mühsam fortbeschworne Schatten kehren wieder, und von Neuem haben wir zu wehren, daß wir nicht den zu Anfang dieses Artikels geschilderten Versuchungen unterliegen. Also nicht mehr unser Tischendorf, unser Erasmus und Ximenes, und nicht eher wieder, als bis die Zweifel des Englishmans und die unsern widerlegt sind, wovon wir seiner Zeit nicht so sehr wegen des „sinaitischen Fundes", der uns kühler läßt wie die Engländer, als im Interesse der Ehre deutscher Wissenschaft bereitwillig Notiz nehmen werden.
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Aber wohlzubemerken: Causidicus hat seine Mängel, ist aber kein Simonides. Also nicht wieder das hohe Roß reiten, nicht kurz abtrumpfen. Nicht mit Worten, die mehr Selbstgefühl als Selbsterkenntniß athmen, sich um die Sache herumschlängeln, wie bei der Rücknahme des frühern Urtheils über das Hermas-Manuscript. Sondern glatte klare, ausführliche Gegenbeweise bringen; denn, wie die Grenzboten damals bei Gelegenheit der Uranios-Affaire nicht ohne einige Wehmuth sagten:
Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können irren!
wir fint) verjhmmt.
SDicrtlidi erfüllet fcnfl unfcr 2öoblwollcn bie'glügel. 'Dlübfam fortbefrbwornc
Statten fcbren wiebet. unb von Jieuem babrn wir ju wehren, bajj wir nid>f
ben ju 'Hnfang biefeb Strtifelb gefrbilberten SJerfuibungcn unterliegen. Sllfo
nidjt mehr unfer liftbcnborf, unfcr Srabmub unb iimeneb, unb nidt>t eher
wieber, al« bie bie 3weifet beb Cfnglibbmanb unb bie unfern wiberlegt jinb, wo«
von wir feiner 3*'it — nic^t fo febr wegen beb .finaitifrben gunbeb', ber unb
lübler lägt wie bie (Snglänber, alb im 3ntereffe ber Sbre beutfd)er
2Biffenf<baf t — bereitwillig 9lotij nehmen werben.
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Sacbe b«umfrblängeln, wie bei ber SHüdnabmc beb frühem. Urtbeitb über ba»
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irren!
Konstantin Tischendorf und Konstantin Simonides.
Vor einigen Monaten erschien in Leipzig*) unter dem Titel „Constantin Tischendorf in seiner fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen Wirksamkeit. Literar-historische Skizze von Dr. J. E. Volbeding" eine Schrift, die einiges Aufsehen erregte und auch uns zu denken gab. Unser erster Gedanke war Ueberraschung, unser zweiter Erinnerung an den Erfahrungssaß, nach welchem jede Regel ihre Ausnahmen hat, und dazu gesellte sich als dritter eine hübsche Geschichte, die uns kurz vorher von einem gelehrten Freund erzählt worden war. Wir waren überrascht aus mehren Gründen. Zunächst weil der auf dem Titel genannte Herr Verfasser seinem eigentlichen Lebènsberuf nach uns nur als Redacteur eines Pfennigmagazins für die Jugend bekannt nicht gerade zum Beurtheiler von Leistungen auf dem Gebiet paläographischer Forschungen geschaffen erscheinen wollte. Dann war es nicht gebräuchlich, wenigstens selten, daß man große Männer schon bei Lebzeiten zum Gegenstand lobender Biographien in Buchform macht. Endlich lebte der „Literarhistoriker“ Volbeding in Leipzig, woselbst das Object seiner Verehrung ebenfalls seinen wesentlichen Wohnsig hatte, und da fiel uns denn der Spruch ein, nach welchem der Prophet in seinem Vaterlande nichts gelten soll.
er war
Indeß, so dachten wir ferner, feine Regel ohne Ausnahmen, und so mögen auch diese passiren, zumal wir durch sie erfahren, daß wir es hier nicht blos mit einem großen, sondern mit einem sehr großen Manne zu thun haben, so zu sagen mit einem Wohlthäter der Menschheit. Weshalb sollte ein Herausgeber der Leipziger Kinderzeitung nicht sein Herzenswinkelchen haben dürfen, in welchem er sich für den Handel mit alten Codices, Palimpsesten und ähnlichem Apparat gelehrter Theologie interessirt? Und warum sollte man der Weisheit und Tugend, die man èntdeckt hat, nicht einmal gegen das Herkommen, schon während sie noch hienieden wandelt, das verdiente Ehrendenkmal sezen? Weshalb denn, so
*) Verlag von Carl Fr. Fleischer. Grenzboten I. 1863.
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fragten wir nach einem Blick auf die Einleitung, nicht ohne Verzug ans Werk gehen, wenn diese Weisheit und Tugend obendrein die Zuvorkommenheit hat, ihrem Bildhauer aus eigenen Mitteln den Marmor und das Erz zu seinem Monument zu liefern?
So lasen wir denn die Schrift weiter, und nicht ohne Befriedigung. Von Seite zu Seite gelang es mehr, in dem großen Gelehrten, den sie feiert, und den der Verfasser unmittelbar neben Erasmus und Cardinal Ximenes stellt, auch den großen Menschen und Christen zu erkennen, der immer nur die För derung der Wissenschaft im Auge hat, dessen kindlich frommes Gemüth nie an etwas Anderes als an den lieben Gott und das Himmelreich denkt, und der dafür in einer für unsre prosaisch calculirende Zeit an das Wunder streifenden Weise auch mit irdischen Gütern belohnt wird. Einige Mängel, welche das Buch hat, konnten bei der Rührung und Erbauung, welche solche Stellen gewährten, kaum auffallen.
Es ist wahr, das Referat über die Anerkennungen, die dem Betreffenden von hohen, höchsten und allerhöchsten Herrschaften, von Doctoren und Professoren, Herzogen, Königen, Kaisern aller Nationen, vom Lande, wo der Nordsternorden wächst, bis zu der Region, wo der Erlöserorden blüht, ja selbst vom heiligen - Vater und seinen Kardinälen zu Theil geworden, wirkt etwas ermüdend und ist vielleicht nicht von Interesse für Jedermann. Auch kam es uns vor, als ob von den 89 Seiten der Schrift die größere Hälfte sich mit jenen Anerkennungen statt, wie billig zu sein schien, mit Darstellung der Leistungen beschäftigte, für die sie ertheilt wurden. Allein was konnte der Verfaffer der Biographie dafür, daß der Anerkennungen so viele, daß ihrer etwa gar mehr waren als der Verdienste seines Helden? Es gibt in Deutschland hier deuten wir die oben erwähnte hübsche Geschichte an einen Gelehrten, der die ihm verliehenen zahlreichen Decorationen auf einem eigens dazu hingestellten Tischchen seiner Studirstube aufbewahrt und die Gewohnheit hat, seine Besucher durch allerlei kleine Manöver vor diesen anmuthigen Hausaltar zu dirigiren, wo er denen, die sich dies nicht durch unartige Gesten verbitten, den Inhalt zu zeigen und zu erläutern pflegt. Was kann dieser würdige und gelehrte Herr dafür, daß fürstliche Huld ihn ein Dugend Mal zum Ritter schlug?
Es ist ferner kaum zu läugnen, die Maffe der Mittheilungen über dieses reiche Leben ist nicht eben nach den Grundsäßen stilistischer Kunst geordnet, und weniger Wohlwollende als wir könnten sie fast eine wirre Masse nennen. Aber wer weiß, ob sie nicht ursprünglich besser zusammengestellt war? Und könnte die Verwirrung nicht dadurch hineingekommen sein, daß eine zweite wohlwollende Hand dem Manuscript in Randbemerkungen oder sonstwie ver gessene Auszeichnungen beifügte, und die Druckerei diese am unrechten Orte einschaltete?
Endlich ist. Einiges von den Thaten und Leiden des Heros, den die Schrift*) uns schildert, z. B. dessen Antheil an dem Streit über die Handschrift des Uranios und dessen am Felsen der Leipziger Hermashandschrift erlittener philologischer Schiffbruch nicht ganz so dargestellt, wie Sachkenner ohne Rücksichten, nicht befreundete Literarhistoriker es erzählen würden**). Weitere Ausstellungen drängte der Eindruck der wahrhaft wuchtigen Gründlichkeit des Herrn Volbeding zurück, einer Gründlichkeit, die auch das, was bei minder hervorragenden Männern für bedeutungslos und nicht der Rede werth gelten würde, sorgsam aufzeichnet, und die so weit geht, daß man an mehr als einer Stelle in Versuchung geräth, zu muthmaßen, das Buch sei nicht nur, wie man nach der Lectüre der ersten Seiten schon annehmen muß, von einem sehr vertrauten und sehr genau unterrichteten Freunde, sondern vom vertrautesten und am genauesten unterrichteten Freunde, den der Mensch zu haben pflegt, verfaßt — mit andern Worten eine Selbstbiographie.
Nur der Neid kann dieser Versuchung unterliegen, und wir sind nicht neidisch auf die Verdienste Tischendorfs und deren Belohnung. Wir sagten uns in Betreff jener Hypothese: Große Dinge loben sich immer, große Männer niemals selbst. Tischendorf ist ein großer Mann und Mensch, und wenn es vorgekommen ist, daß solchen von Freundeshand schon bei Lebzeiten ein Denkmal errichtet wurde, so ist es geradezu unerhört, daß in unsern Tagen ein solcher sich selbst eine Statue seßte oder auch nur die glättende Hand an deren Decorationen legte. So überwanden wir glücklich alle uns aufgestiegenen Bedenken und faßten den Beschluß, Ehre zu geben, dem Ehre zu gebühren schien: dem Verfasser der Biographie das Lob eines treuen Freundes, der Gefälligkeit mit Gewissenhaftigkeit zu verbinden versteht, dem Gegenstand seines Liebesdienstes eine Nische in der Walhalla, oder, da dies nicht von uns abhängt, eine verehrungsvolle Verbeugung und für fünftige Fälle die gelegentliche Bezeichnung: unser Tischendorf.
In dieser Gemüthsverfassung befanden wir uns bis vor Kurzem. Nun haben aber große Männer bisweilen nicht blos getreue und gefällige Freunde, sondern auch Feinde, leßtere vermuthlich nach göttlicher Zulassung nur zu dem Ende, daß ihre Größe sich im Kampfe herrlicher offenbare, und mit Betrübniß müssen wir vermelden, daß auch unser Tischendorf, unser Erasmus Feinde hat, und daß sich darunter nicht allein recht bittere, sondern leider auch einige recht respectable befinden, so daß man bei aller Geneigtheit zum Gegentheil nicht umhin kann, von ihren Urtheilen Notiz zu nehmen.
*) Die nach der soeben geäußerten Sypothese gewissermaßen palimpsestischer Natur wäre. **) Vgl. den Artikel „Der falsche Uranios und der Grieche Simonides", Grenzboten 15. Jahrg., 1. Semester, Seite 278 ff.
Wir meinen damit nicht die Recension Fallmerayers, die in Tischendorfs „Reise in den Orient" einen „wahren Abgrund von Gedankenleere, Marklosigkeit, Nichtigkeit und Zerfahrenheit“ entdeckte und in dem Verfasser einen „decorirten Wanderhelden" erblickte, „den gleichsam von der Schulbank weg die polirtesten Staaten Europas in die Wette mit ihrem Nischan Iftichar behängen." Wir sehen ferner von gewiffer Leute Meinungen über die späteren Reiseschriften des Betreffenden ab, Meinungen, die Aehnliches, wenn auch nicht in so unhöflicher Form wie der Fragmentist aussprachen. Ebensowenig gedenken wir für jezt die Stimme eines sehr achtungswerthen Gelehrten ausführlich reden zu lassen, welche sich vor einiger Zeit in der „Petersburger Zeitung“ dahin äußerte, das von Tischendorf beanspruchte Verdienst, die sinaitische Handschrift entdeckt zu haben, gebühre andern Reisenden. Endlich wollen wir auch diejenigen Gegner unseres großen Mannes vorläufig unerwähnt laffen, denen aus dem Orient das dunkle Gerücht zu Ohren gedrungen ist, das besagte Manuscript sei der russischen Regierung auf wesentlich andere Art gewonnen worden, als Tischendorf in seinem neuesten (beiläufig dem Anschein nach mehr für den Petersburger Hof als für ein deutsches Publicum berechneten) Reisebuch „Aus dem heiligen Lande" mit gesalbten Worten berichtet. Was wir meinen, ist der Angriff auf die Aechtheit jener sinaitischen Bibelurkunde, welcher vor Kurzem von dem Griechen Simonides ausgegangen ist, und die Stimmen des Zweifels, die infolge dessen in der englischen Presse laut geworden sind. Jener ist der obenerwähnte bittere Feind unseres Tischendorf, diese sind die respectabeln Gegner.
Ueber die Bedeutung, welche die in Rede stehende Urkunde vom Sinai für die biblische Textkritik beansprucht, brauchen wir hier nicht zu reden, da Tischendorf selbst in jenem Reisebuche, in der Allgemeinen, der Leipziger und, irren wir nicht, auch in der Illustrirten Zeitung sowie in einer Anzahl ähnlicher Blätter mit schönem Eifer Sorge getragen hat, daß die Welt darüber aufgeklärt werde. Dagegen müssen wir mit ein paar Worten das Gedächtniß an jenen Simonides auffrischen, wozu ein Auszug aus dem in der dritten Anmerkung genannten Auffaße d. Bl. dienen möge.
Im Juli 1855 erschien in Leipzig ein geheimnißvoller Grieche, der sich Konstantin Simonides nannte und eine Anzahl seltner Handschriften zu besißen vorgab. Mißtrauische Gemüther hatten darüber ihre Vermuthungen, indeß gelang es jenem, Einiges von seinen Schäßen an die Universität abzuseßen, wiewohl sich Bedenken erhoben, ob nicht wenigstens ein Theil davon unächt sei. Darauf brachte Simonides ein anderes Manuscript hervor: 72 Blätter einer ägyptischen Königsgeschichte des Alexandriners Uranios. Die Handschrift war`· ein Palimpsest, d. h. ein Pergament, auf welchem die ursprüngliche Schrift von spätern Abschreibern bis auf einen bleichen Rest der Züge abgewischt, und welches dann von neuem beschrieben worden war. Der Inhalt der zweiten
p. 205-209
Hand war unzweifelhaft ächt, der Inhalt der ersten wurde von Professor W. Dindorf trog dringender äußerer Verdachtsgründe ebenfalls für ächt gehalten und das Manuscript dem Simonides für zweitausend Thaler abgekauft. Herr Dindorf, in der gelehrten Welt als Herausgeber alter Autoren, an der Leipziger Börse als speculativer Geschäftsmann bekannt, beeilte sich, das Manuscript der Berliner Akademie für fünftausend Thaler anzubieten. Diese Körperschaft ließ. durch eine Anzahl ihrer Mitglieder eine Untersuchung vornehmen. Zwei große Namen zerlegten die Sache chemisch, ein großer Name mikroskopisch, mehre sehr große Gelehrte fritisch, und das Ergebniß war die Fälschung war auch gar zu geschickt gemacht die Akademie erklärte die Handschrift für ächt und be schloß, deren Ankauf zu befürworten. Da die hierzu nöthige Geldbewilligung nicht sofort zu erlangen war, und Dindorf wenigstens auf eine Anzahlung drang, so schoß Lepsius, der unter den Prüfern der Akademie gewesen war und das kostbare Manuscript herauszugeben gedachte, die erforderliche Summe vor und empfing dafür den Uranios. Bei näherer Betrachtung desselben entdeckte er jegt verschiedene bedenkliche Stellen. Namentlich war eine kühne Muthmaßung Bunsens, die eine Lücke in unsrer Kenntniß Urägyptens ergänzen sollte, von dem alten Griechen Uranios wörtlich in seine Geschichte aufgenommen worden. Der so entstandene Verdacht erhielt von Leipzig aus Bestätigung, indem Profeffor Tischendorf, der schon früher Zweifel an dem Werth des paläographischen Schazes geäußert und in diesen jezt durch Briefe des Simonides bestärkt worden, verdrießlich darüber, daß sein früheres Votum für irrelevant gegolten, an die „maßgebende Stelle" telegraphirte, die Handschrift sei unächt, und seine Beweise folgen ließ *). Der Schluß der Geschichte ist kurz: Lepfius mit Polizei in Leipzig Haussuchung bei Simonides - Entdeckung eines Apparats zur Verfertigung alter Manuscripte in deffen Wohnung Wiedereroberung der Dindorfschen zweitausend Thaler von dem schon zur Abreise gestiefelten Griechenjüngling großes Gelächter des nicht betheiligten Publicums und, nachdem dies verhallt, die ernste Lehre:
Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können irren!
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Simonides war nach kurzer Haft entlassen worden und nach England ge= gangen, wo er für uns verschollen schien, bis er am 3. September vorigen Jahres plöglich in einer Nummer des Blattes Guardian" wieder auftauchte und zwar mit nichts Geringerem als einem Protest gegen die Aechtheit der finaitischen Handschrift seines Namensvetters Konstantin Tischendorf, in welchem Protest
*) Die Briefe, welche den Ausschlag gaben, waren Tischendorf von dem Landsmann, Freund und Mitftrebenden des Simonides, Alexander Lykurgos verschafft worden, der mit jenem eine Zeit lang gewissen paläographischen Studien obgelegen, sich aber dann aus nicht genügend aufgehellten Gründen mit ihm entzweit hatte.
er behauptete, besagte Handschrift sei keineswegs ein Werk urchristlicher Zeit, sondern von ihm, Konstantin Simonides, selbst erst vor einigen Jahren angefertigt. Er erzählt:
„Gegen das Ende des Jahres 1839 wünschte der ehrwürdige Benedict, mein Oheim, geistliches Haupt des Klosters des heiligen Märtyrers Pantelimon auf dem Berg Athos, dem Kaiser Nikolaus dem Ersten von Rußland in dankbarer Anerkennung der Geschenke, die von Zeit zu Zeit dem Kloster des Mär. tyrers dargeboten worden waren, irgend eine Gabe vom heiligen Berge zu verehren. Da er nichts besaß, was er für annehmbar erachtete, berieth er sich mit dem Herold Prokopius und dem russischen Mönch Paul, und sie entschieden sich für eine Abschrift des Alten und Neuen Testaments, geschrieben nach alterthümlicher Weise in Anfangsbuchstaben und auf Pergament. Dies, zu= sammen mit den Ueberresten der sieben apostolischen Väter Barnabas, Hermás, Clemens, Bischof von Rom, Ignatius, Polykarp, Papias und Diony, sius Areopagita sollte nach ihrem Vorschlag in Gold gebunden und dem Kaiser durch einen gemeinsamen Freund überreicht werden. Dionysius, der eigentliche Schönschreiber des Klosters, wurde gebeten, die Arbeit zu unternehmen, lehnte jedoch die Aufgabe als allzuschwierig ab. Infolge dessen entschloß ich selbst mich, an das Werk zu gehen, namentlich da mein verehrter Oheim es lebhaft zu wünschen schien. Nachdem ich dann die wichtigsten der auf dem Berg Athos verwahrten Copien der heiligen Schrift untersucht hatte, begann ich mich in den Regeln der Schönschreibekunst zu üben, und der gelehrte Benedict nahm ein Exemplar der Moskauer Ausgabe beider Testamente (herausgegeben und den Griechen geschenkt von den berühmten Gebrüdern Zosimati), verglich es mit den alten und reinigte es auf diese Weise von vielen Jrrthümern, worauf. er es mir zum Abschreiben aushändigte. Nachdem ich so beide Testamente fehlerfrei empfangen (nur die alte Schreibweise war unverändert beibehalten), suchte ich mir, da es an Pergament mangelte, mit Benedicts Erlaubniß aus der Bibliothek des Klosters einen sehr dickleibigen, alterthümlich gebundenen Band heraus, der fast ganz ohne Schrift und dessen Pergament außerordentlich rein und schön gearbeitet war. Derselbe war offenbar vor vielen Jahrhunderten so zubereitet worden vermuthlich von dem Schreiber oder dem Vorsteher des Klosters, da er die Ueberschrift EKAOгION ПANHÃYPIKON (Sammlung von Lobgesängen) trug und außerdem eine kurze Abhandlung enthielt, die stark von der Zeit gelitten hatte.
Ich nahm also Besiß von dem Buch und machte mir's zurecht, indem ich das Blatt mit der Abhandlung herausschnitt und verschiedene andere von Zeit und Motten beschädigte entfernte, worauf ich an meine Aufgabe ging. Zuerst schrieb ich das Alte und das Neue Testament ab, dann die Epistel des Barnabas und den ersten Theil der Pastoralschriften des Hermas, und zwar in Un
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zialen des Stils, der in der Kalligraphie dμpidékios heißt. Die übrigen apostolischen Schriften abzucopiren, lehnte ich, da es an Pergament zu mangeln anfing, ab, und der schwere Verlust, den ich durch das Ableben Benedicts er litt, veranlaßte mich, das Werk sofort dem Buchbinder des Klosters zur Wiedereinfügung in die ursprüngliche mit Leder überzogne Holzschale zu übergeben, welche ich der größern Bequemlichkeit halber abgenommen hatte und als dies geschehen, nahm ichs in meinen Besit.
Einige Zeit nachher zeigte ich, nach Konstantinopel gezogen, die Arbeit den Patriarchen Anthimus und Konstantius und theilte ihnen den Grund mit, aus dem die Abschrift stattgefunden. Konstantius nahm sie an sich und bat mich, nachdem er sie gründlich geprüft, sie der Bibliothek des Sinaiklosters zu schenken, was ich denn auch zu thun versprach. Konstantius war früher Bi schof vom Sinai gewesen und war nach seinem Rücktritt von diesem Posten wieder und zwar für immer Bischof dieses Ortes geworden.
Kurz nachher wurde ich durch die Cooperation beider Patriarchen unter den Schuß der erlauchten Gräfin Etleng und ihres Bruders, A. S. Stourpas gestellt; aber ehe ich nach Odessa abreiste, ging ich nach der Antigonusinsel hinüber, um Konstantius zu besuchen und meinem Versprechen nachzukommen, nach welchem ich das Manuscript der Bibliothek des Berges Sinai geben wollte. Der Patriarch war indeß von Haufe abwesend, und ich ließ infolge deffen das Packet für ihn mit einem Briefe zurück. Bei seiner Rückkunft schrieb er mir folgende Antwort:
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Mein innigst geliebter Sohn im heiligen Geiste, Simonides, Gnade sei mit Dir und Friede von Gott. Ich empfing mit aufrichtiger Genugthuung Deine wahrhaft kostbare Abschrift der heiligen Schriften - nämlich des Alten und Neuen Testaments sammt der Epistel des Barnabas und dem ersten Theil der Pastoralabhandlungen des Hermas, in einen Band gebunden, welcher nach Deinem Wunsch in der Bibliothek des Berges Sinai niedergelegt werden soll. Aber ich ermahne Dich ernstlich (wenn Dù je nach Gottes Willen nach dem heiligen Berg Athos zurückkehren solltest) das Werk, wie Du ursprünglich gedachtest, zu vollenden, und Er wird Dir es lohnen. Sei bei mir den dritten nächsten Monats, damit ich Dir Briefe an den erlauchten A. S. Stourpas gebe, um ihn von Deinen Talenten und Fähigkeiten in Kenntniß zu seßen, und damit ich Dir einige Winke ertheile, welche für den Erfolg Deiner Pläne nüßlich sein könnten. Ich lebe der festen Zuversicht, daß Du geboren wurdest, um Deinem Vaterlande Ehre zu machen.
Insel des Antigonus, 13. August 1841.
Konstantius, einst Patriarch von Konstan tinopel, ein eifriger Anbeter in Christo. Nachdem ich den obigen Brief erhalten, ging ich wieder zum Patriar chen
welcher mir die gütigsten und väterlichsten Rathschläge ertheilte und Briefe an Stourpas hinzufügte. Darauf kehrte ich nach Konstantinopel zurück und begab mich von hier im November 1841 nach Odessa.
Im Jahre 1846 reiste ich nach Konstantinopel zurück, von wo ich sogleich nach der Antigonusinsel ging, um Konstantius zu besuchen und in seine Hände ein großes Packet von Manuscripten zu legen. Er empfing mich mit der größten Freundlichkeit, und wir unterhielten uns über eine Menge ver schiedener Dinge, unter Anderm auch über meine Abschrift, wobei er mich benachrichtigte, daß er dieselbe vor einiger Zeit nach dem Berg Sinai gesandt habe.
Im Jahr 1852 sah_ich_sie dort selbst und bat den Bibliothekar, mir zu fagen, wie das Kloster sie erworben; aber er schien nichts von der Sache zu wiffen, und ich meinestheils sagte nichts. Indeß untersuchte ich das Manuscript und fand es sehr verändert, indem es ein älteres Aussehen hatte, als es haben sollte. Die Widmung an den Kaiser Nikolaus zu Anfang des Buchs war weggeschafft worden. Ich begann hierauf meine philologischen Nachforschungen; denn es befanden sich in der Bibliothek mehre werthvolle Manuscripte, welche ich zu prüfen wünschte. Unter ihnen stieß ich auf die Pastoralschriften des Hermas, das heilige Evangelium nach St. Matthäus und die bestrittene Epistel des Aristeas an Philoftetes (alle auf ägyptischen Papyrus des ersten Jahrhunderts geschrieben)*) sammt andern der Beachtung nicht unwürdigen. Alles dies theilte ich Konstantius und später meinem geistlichen Vater Kallistratus zu Alexandrien mit.
Sie haben hiermit einen kurzen und klaren Bericht über den Codex Simonideios, welchen Profeffor Tischendorf bei seinem Aufenthalt auf dem Sinai, wie, weiß ich nicht, zu entführen verstand, und welchen er, nach St. Petersburg gegangen, dort unter dem Namen eines Codex Sinaiticus herausgab. Als ich vor etwa zwei Jahren die ersten Facsimilia Tischendorfs sah, die zu Liverpool durch Mr. Newton in meine Hand kamen, erkannte ich sofort mein eigen Werk, was ich ihm auch unverzüglich sagte.
Das Obige ist ein getreues Referat über Ursprung und Geschichte des berühmten Codex Sinaiticus, welchen Professor Tischendorf der gelehrten Welt als eine Handschrift des vierten Jahrhunderts aufgeredet hat. Ich habe nun nur noch ein paar Bemerkungen zu machen. Der Name des Kalligraphen des Klosters von St. Pantelimon war Dionysius, der Name des Mönchs, welcher
*) Hermas nichts zu sagen von Matthäus auf ägyptischen Papyrus des ersten Jahrhunderts geschrieben, er, der erst im zweiten Jahrhundert und in diesem ziemlich spät entstand! Ganz dasselbe Wunder, wie der alte Uranios, der den Ritter Bunsen ausschrieb. D. Red.
von dem Patriarchen Konstantius abgesandt wurde, um den Band von der Antigonusinsel nach dem Sinai zu bringen, war Germanus. Der Band wurde, während er in meinem Besiß war, von vielen Personen gesehen, und er wurde mit Aufmerksamkeit von Hadschi Johannes Prodromos, Sohn des Pappa Prodromos durchgegangen, welcher ein Geistlicher der griechischen Kirche in Trapezunt war. Johannes Prodromos hielt ein Kaffeehaus zu Galata bei Konstantinopel und hält es wahrscheinlich jezt noch. Der Brief vom Patriarchen Konstantius, welcher den Empfang des Manuscripts bestätigte, und ebenso die 25,000 Piaster, die Konstantius mir als Ausdruck des Dankes sandte, wurden mir von dem Diakon Hilarion überbracht. Alle die hier genannten Personen sind, wie ich glaube, noch am Leben und könnten Zeugniß ablegen für die Wahrheit meiner Angaben.
Von der innern Evidenz des Manuscripts will ich für jezt nicht sprechen. Jeder in der Paläographie Bewanderte muß auf den ersten Blick sagen können, daß es eine Handschrift der Gegenwart ist. Aber ich will doch erwähnen, daß mein Oheim es an vielen Stellen corrigirte und, da es nochmals abgeschrieben werden sollte, viele Buchstaben markirte, welche er illuminiren zu lassen beabsichtigte. Die Correcturen in der Handschrift meines Oheims kann ich natürlich aufzeigen und ebenso jene des Kalligraphen Dionysius. An verschiedenen Stellen merkte ich am Rande die Initialen der verschiedenen Manuscripte an, aus welchen ich gewisse Abschnitte und Lesartén entnommen hatte. Diese Initialen scheinen Professor Tischendorf sehr in Verlegenheit gefeßt zu haben, da er verschiedene höchst ingeniöse Methoden erfunden hat, um sie zu erklären. Endlich behaupte ich im Stande zu sein, obwohl ich die Handschrift Jahre lang nicht gesehen, zwei bestimmte Stellen in derselben aufzuzeigen, in welchen der über allem Zweifel erhabene Beweis liegt, daß es meine Schrift ist."
„Zum Schluß gestatten Sie mir meine aufrichtige Betrübniß auszusprechen, daß, während die vielen werthvollen Reste des Alterthums in meinem Besiß häufig meinen eignen Händen zugeschrieben werden, das eine arme Werk meiner Jugend von einem Herrn, der sich des Russ großer Gelehrsamkeit erfreut, für das älteste Exemplar der heiligen Schrift ausgegeben wird."
Tischendorf antwortete auf diesen Angriff in der Allgemeinen Zeitung" mit einigen kurz abweisenden Worten, und die deutsche Gelehrtenwelt schien dies in der Ordnung zu finden. Wenigstens schwieg sie unseres Wissens. Anders die englischen Theologen. Unter Anderm brachte am 11. September v. J. das „Clerical Journal" eine gutgeschriebene Verurtheilung der Aussagen des Simonides, und einige Monate später, am 17. Jan. d. J., erschien in Nr. 38 der Zeitschrift The Parthenon" ein Aufsaß, welcher mit Causidicus unterzeichnet war und anfänglich zu unserer nicht geringen Ueberraschung in gleichem Grade sowohl dem Konstantin Simonides als dem Konstantin
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Grenzboten I. 1863.
p. 210-214
Tischendorf den Glauben versagte. Im Folgenden das Wesentliche aus diesem anscheinend von aufrichtiger Wahrheitliebe dictirten Artikel, der zugleich die wesentlichsten Punkte des andern Journals wiedergibt. Caufidicus schreibt:
„Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden, der Kläger oder der Angeklagte in dieser literarischen Fehde am wenigsten vortheilhaft erscheint. Simonides weigert sich auf den außerordentlich unparteiischen und mild gehaltenen Artikel im „Clerical Journal" zu antworten, weil derselbe anonym ist, eine Entschuldigung so armseliger Art, daß selbst seine achtbare Großmutter darüber gelacht haben würde. Andrerseits ist die von Tischendorf in der „Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte Note noch bedauernswerther als die feigherzige Entschuldigung seines Gegners. Der Doctor reitet das hohe Pferd, aber feineswegs in der Weise eines Paladins. Von einem Mann, der nur durch seine Arbeiten auf dem untergeordneten Felde der Paläographie und der Sammlung von Manuscripten bekannt ist, sollte man einen gewissen Grad von Bescheidenheit erwarten, selbst wenn derselbe, was ich durchaus nicht zugebe, einen werthvollen Bibelcoder in einem Lappen entdeckt hätte. Aber die Approbation eines Czaren und das Interesse, welches das literarische Europa an seiner angeblichen Entdeckung genommen hat, haben den Manuscriptensammler augenscheinlich be wogen, die Miene eines literarischen alten Pistol anzunehmen. Er wundert sich, daß englische Journale sich um solch Zeug, wie die Angaben des Simonides, Gedanken machen. Wer hat ein besseres Recht? Wir in England trauen weder Tischendorf noch Simonides in einer so wichtigen Angelegenheit wie die Aechtheit eines biblischen Codex, von dem behauptet wird, er stamme aus dem höchsten Alterthum. In diesem Betreff hören wir beide Parteien ohne Voreingenommenheit und gestehen wir dem Doctor Tischendorf nicht ein Jota mehr zu als dem Doctor Simonides.“
„Gegen den Bericht des Simonides scheinen von den in dem verständigen und unparteiischen Artikel des „Clerical Journal" angeführten Gründen hauptsächlich folgende zu sprechen:
1. Simonides hätte, wenn das Manuscript wirklich sein Werk war, diese Thatsache unmittelbar nachdem die vermeintliche Entdeckung Tischendorfs zu seiner Kenntniß gekommen, bekannt machen müssen. Statt dessen verhielt er sich still bis zur elften Stunde und ließ die Bibelkritiker Europas in Täuschung befangen, ohne Rücksicht auf die Verschwendung von Arbeit und Kosten, welche sein Schweigen verursachte.
2. Die Zeit, welche Simonides bedurft haben will, um das Manuscript zu copiren, betrug ungefähr zwanzig Monate, ein Zeitraum, in welchem, wie es scheint, das Werk unmöglich zu Stande gebracht werden konnte.
3. Das Manuscript enthält Correcturen an achttausend Stellen, eine uns ermeßlich mühevolle Arbeit, für welche Simonides keine andere Art von Auf
klärung an die Hand gibt, als daß sein Oheim Benedict, früher Abt des Klosters St. Pantelimon auf dem Berge Athos, es an einigen (Simonides Lagt vgl. das Obige zweimal: an vielen") Stellen verbesfert habe."
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4. Das Manuscript soll dem St. Katharinenkloster vor
aber anscheinend
nicht lange vor dem Jahr 1846 übersandt worden sein. 1852 besuchte Simonides selbst das Kloster und sah dort die Handschrift. Er fragte den Bibliothekar, wie das Kloster dieselbe erlangt, eine Frage, die jener Beamte nicht beantworten konnte, obwohl die Zeit zwischen der Absendung des Manuscripts und jener Frage weniger als zehn Jahre betragen zu haben scheint. Simonides gibt zu, damals keinen Anspruch darauf gemacht zu haben, daß er das Manuscript geschrieben.
5. Im Jahr 1844 scheint Tischendorf im Katharinenkloster einen Theil der Handschrift gesehen zu haben, welche, wenn dies wahr wäre, damals in Bruchstücke zerrissen gewesen sein müßte. Simonides gibt an, daß er 1852 das Manuscript im Kloster ganz, aber sehr verändert“ gefunden, „indem es ein älteres Aussehen hatte, als es haben sollte;" denn es war ursprünglich auf die Blätter eines Pergamentbuchs geschrieben, welches „außerordentlich rein und schön gearbeitet war". 1859 will Tischendorf den Rest des Manuscripts „in einen Lappen eingewickelt" gefunden haben. Hier haben wir nur sich widersprechende Aussagen und (soweit wir mit bloßen Behauptungen zu thun haben) bin ich geneigt, dem Einen nicht mehr als dem Andern zu glauben,
6. Das Manuscript ist in Unzialen geschrieben, von denen die besten Paläographen zugeben, daß fie trefflich ausgeführt sind, und welche sie auf ein Datum nicht jünger als das vierte Jahrhundert zurückführen.
eine sehr wichtige Sache bei paläographischen Entschei
7. Die Tinte dungen scheint von hohem Alter zu sein, und dieser Schein kann, wie man meint, durch feine der jegt bekannten chemischen Agentien mitgetheilt werden."
„Nachdem wir die Gründe, aus denen sich auf Unredlichkeit auf Seiten des Simonides schließen läßt, erörtert haben, betrachten wir, um unsre Unparteilichkeit zu wahren, die Möglichkeit einer Täuschung (Causidicus braucht ein unzweideutigeres Wort, welches wir nicht adoptiren) auf Seiten Tischendorfs. Die Versuchung war ungeheuer. Der Name eines vorher unbekannten Mannes ohne hervorragendes Talent und Wissen (? vgl. Volbeding) mußte sofort in ganz Europa bekannt werden. Würden wir nicht in einer so boch wichtigen Angelegenheit feige handeln, wenn wir uns, von dem Geschrei mehrer hundert Bibelkritiker übertäubt, die Tischendorf verschlungen haben, wie einige von ihnen (Anspielung auf Ewald) früher Chwolson verschlangen, von der Untersuchung dieses möglichen Standes der Sache zurückschrecken ließen?"
Der Kritiker weist zunächst auf die vielen achtungswerthen Reisenden hin,
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welche das Katharinenkloster vor Tischendorf besucht haben, nennt namentlich Shaw, Pococke und Bankes und fährt dann fort: Ist es wahrscheinlich, daß das Tischendorfsche Manuscript, wenn es damals im Kloster gewesen wäre, den sorgfältigen und scharfsichtigen Blicken des Mr. Bankes entgangen sein würde? Ja, erwidern die Sachwalter Tischendorfs, sehr leicht hätte es ihnen ents geben können, insofern es in einen alten Lappen eingewickelt war. In einen alten Lappen! Wer hat jemals gehört, daß eine Bibelhandschrift in einem Mönchskloster in einen alten Lappen eingewickelt war? Ist das nicht ganz so unwahrscheinlich als irgend ein Theil des Geschichtchens von Simonides? Es ennert ung an michts se lebhaft als an Tousterswivels Schaß, der sorgfältig in eine alte Schnupftabakedoje versteckt war. Hätte es im Kloster ein Paar alte Lederhosen gegeben, kein Zweifel, daß Tischendorf sie sorgfältig nach Hand schriften untersucht bätte.
Ich meinestheils glaube weder an die Erzählung von dem „Lappen“, noch verwerfe ich sie. Sie ist wunderbar verdächtig, und die Versuchung zu einer Täuschung war über die Maßen groß. Aber sie ist wenigstens möglich, und so begnüge ich mich, sie in die Wagschale gegenüber dem verdächtigen Theil der Geschichte des Simonides zu werfen.
Betrachten wir jegt die Einwendungen, welche sich gegen die Erzählung den symiotischen Doctors darbieten. Seine Landsleute sollen die kühnsten Taucher der Welt sein. Sehen wir zu, ob er bei seinem Untertauchen in den Ocean der Literatur einen symiotischen Schwamm oder die Perle der Wahrheit aufgelesen hat. Die Einwürfe sind ernster Natur, ich gebe es zu; indeß könnten fie doch nicht gerade entscheidend sein.
1. Was das lange Schweigen des Simonides betrifft gegenüber seinem Anspruch, das angeblich alte Manuscript geschrieben zu haben, so müssen wir einige billige Rücksicht auf die hellenische und 'klösterliche Erziehung des Mannes und seine eigenthümlichen Jdiosynkrafien nehmen. Er ist jedenfalls nicht der Erste, welcher unter ähnlichen Verhältnissen ähnlich gehandelt hat, und nach dem, was mit seinem „Uranios“ pasfirt war, konnte er eine Art boshafter Befriedigung empfinden, Deutschland sich blamiren zu sehen, die ihn veranlassen konnte, die Leute eine beträchtliche Strecke gehen zu lassen, bevor er gegen Den einschritt, der ihn damals ruinirt hatte.
2. Daß ein Buch wie der Codex Sinaiticus in zwanzig Monaten abgeschrieben wurde, ist allerdings ein außerordentliches Factum. Aber bis der Beweis geführt ist, daß es unbedingt unmöglich war, wird dies keine genügende Entschuldigung sein, seine Erzählung zu verwerfen. Ein moderner Novellist versichert uns, daß er in vierundzwanzig Stunden jene hundert Novellenseiten erfand und schrieb, auf welchen sein ganzer literarischer Ruhm beruht, und denen er in den folgenden dreißigjährigen Arbeiten nie etwas Gleiches an die
Seite gestellt hat. Mag Jemand, mag der rascheste Schreiber sich mit der Aufgabe versuchen, hundert Seiten Novellen in diesem Zeitraum nur zu copiren, und er wird dann möglicher Weise entscheiden, daß die Leistung des Verfassers
ron Redwood" ganz so unglaublich ist als die von Simonides.
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3. Betrifft die achttausend Correcturen. Ziehe ich, wie ich mich um der Unparteilichkeit willen zu thun verpflichtet habe, alle Möglichkeiten in Betracht, so bin ich wohl berechtigt zu fragen: Wer gibt uns die Gewißheit, daß ́nicht der bei weitem größere Theil derselben das Werk Tischendorfs selbst ist? Er könnte ja das Manuscript des Simonides im Jahr 1844 im Kloster gesehen, sich seine Geeignetheit, für eine Handschrift weit älterer Zeit ausgegeben zu werden, bemerkt und in späterer Periode Alles hinzugethan haben, um ihr den Charakter des allerehrwürdigsten Alterthums zu geben."
4. Daß der „Bibliothekar" die Quelle nicht kannte, welcher das Kloster die Handschrift dankte, läßt sich leicht erklären. Burckhardt berichtet uns, daß die meisten Mönche von den griechischen Inseln stammen, daß sie in der Regel nicht länger als vier oder fünf Jahre im Kloster verweilen, daß nur wenige von ihnen arabisch verstehen, daß wenige auch nur das moderne Griechisch flieBend lesen, außer in ihren Gebetbüchern, und daß er nur einen fand, welcher einen Begriff vom Altgriechischen hatte. Er bemerkt, daß sie eine gute Bibliothek hatten, daß dieselbe aber stets verschlossen war, womit er natürlich meinte, daß die Mönche sich nie mit ihr beschäftigten. Können wir uns unter solchen Umständen wundern, wenn der „Bibliothekar“ des Jahres 1852 nichts von der Ankunft des in Rede stehenden Manuscripts gewußt haben soll? Dasselbe konnte ja mehre Jahre vor seiner eignen Ankunft gleichgültig in die „Biblio, thek geworfen worden sein, und sicherlich würden die guten Mönche ihm dann nie einen zweiten Blick zugewendet haben. Können wir uns wundern, wenn Simonides, ihre Gleichgültigkeit bemerkend, der Meinung gewesen wäre, daß irgend ein Anspruch auf Interesse an dem Manuscript von seiner Seite ebenso gut hätte an die Wände als an die Mönche gerichtet werden können?
5. Was den Zustand der Handschrift in den Jahren 1844, 1852 und 1859 anlangt, so ist das lediglich ein Fall sich widersprechender Berichte, und in der Bibelfrage darf Niemandes Aussage einen Gegner so stußig machen, daß weitere Untersuchung ein Ende hat.
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6. Rücksichtlich der Kalligraphie und der Anordnung des Manuscripts erinnere man sich, daß Simonides (wie mir scheint, ein Mann von unvergleichlich größerem Talent und Wissen, als Tischendorf je entwickelt hat) einmal ein Werk über ägyptische Geschichte angefertigt hatte, welches sich für eine Schrift des Uranios, des Historifers der Nabathäer ausgab, und welches von den Mit gliedern der Berliner Akademie für ächt erklärt wurde. Profeffor Dindorf, déssen Gelehrsamkeit im Griechischen und griechischer Paläographie stark hervor
zuheben lächerlich sein würde, und Dr. Lepsius, dessen Bekanntschaft mit ägyptischen Alterthümern heutzutage sicherlich nicht unterschäßt wird, waren ursprünglich unter denen, welche am eifrigsten an die Handschrift des Uranios glaubten. Ist es darum so gewiß, daß die, welche zugestehen, in der Sache des Uranios hinters Licht geführt worden zu sein, nicht gleichermaßen in Betreff des Codex Sinaiticus getäuscht worden sein könnten? Und ist es nicht von Seiten eines Mannes wie Tischendorf (wir mildern wieder den Ausdruck) sehr übel angebracht, ein vornehmes Gesicht zu machen, wenn englische Kritiker, bevor sie das Ansehen des angezweifelten Textes anerkennen, den Wunsch hegen, alle Belehrung zu besißen, welche über die Sache gesammelt werden fann?
7. Hinsichtlich der Tinte. Dieser scheinbar geringfügige Punkt möchte in Wahrheit mehr Gewicht häben als irgend einer der übrigen Einwürfe. Es ist klar, daß Simonides nicht Anspruch darauf macht, solche Tinte gebraucht zu haben, welche seinem Manuscript den Charakter des Alterthümlichen verliehen haben würde. Im Gegentheil, es sollte eine schöne und reiche Abschrift werden, geeignet zur Ueberreichung, als moderne Copie, an den Kaiser von Rußland. Ueber diesen Punkt erlaube ich mir keine Meinung zu äußern, obschon es mir nicht leicht fällt, mich zu überreden, daß solch einem Manuscript, wie Simonides es beschreibt, von einem Manne, der Paläographie zu seinem Studium gemacht, nicht nachträglich sowohl hinsichtlich der Tinte als des Pergaments der Anschein sehr hohen Alterthums hätte gegeben werden können.
Ich biete diese Bemerkungen im Geiste vollkommenster Unparteilichkeit sowohl in Bezug auf den symiotischen als auf den deutschen Doctor dar. Ich selbst würde auf die Autorität des Simonides hin gar keine Handschrift annehmen, und ich bin geneigt, auf die Autorität Tischendorfs hin keine ohne die allergenaueste Untersuchung anzunehmen. Was die deutschen gelehrten Zöpfe (pundits) anlangt, so sind sie einmal betrogen worden und könnten wieder betrogen sein."
So weit der Caufidicus des „Parthenon" Nun kurz unsre Meinung.
1. Die Engländer sind in dieser Streitfrage in zwiefacher Hinsicht nicht ganz unparteiisch. Einmal möchten sie nicht gern, daß ihrem Codex Alexandrinus, der frommer Sage zufolge von der heiligen Thekla, aber sicher im vierten oder fünften Jahrhundert geschrieben ist, die Palme des Alters streitig gemacht würde. Sodann könnte das Fehlen gewisser dogmatisch wichtiger Stellen des Neuen Testaments, durch die sich der Tischendorfsche Coder auszeich nen soll, hochkirchlichen Theologen sehr unbequem erscheinen.
2. Causidicus denkt ein wenig zu schnell. Er ist, wie es scheint, kein Fachmann. Er seßt im Eifer rielleicht zu starke Möglichkeiten. Seine Beweisführung mit den frühern gelehrten Besuchern des Katharinenklosters, welche die Handschrift nicht gefunden, ist schwach. Punkt 1 des folgenden Plaidoyers da
p. 215-216
gegen unterschreiben wir. Ebenso leuchtet Punkt 2 ein, und ließen sich dazu noch viel näher liegende Beispiele als der Autor von „Rockwood“ herbeischaffen. Die betreffende Handschrift würde, wie das „Clerical Journal" meint, in ihrer Vollständigkeit zwischen 1,100 und 1,200 Folioseiten, jede zu 4 Spalten gehabt haben, und diese in circa 600 Tagen vollzuschreiben, erfordert Fingerfertigkeit und Ausdauer, ist aber keineswegs unmöglich, so wenig unmöglich wie das Gedächtniß und die Beharrlichkeit Scaligers, der in 21 Tagen den ganzen Homer auswendig lernte. Die Hypothese in Punkt 3 können wir uns selbst in dieser Form entfernter Möglichkeit nicht gut aneignen, und statt der Denkbarkeit einer Täuschung substituiren wir lieber die Denkbarkeit des Getäuscht. seins. Der vierte Punkt des englischen Kritikers ist in der Ordnung, desgleichen der fünfte, und auch dem sechsten und für die innere 'Evidenz des Coder wichtigsten läßt sich leider nur insofern widersprechen, als wir die hier niedergelegte sehr günstige Ansicht von den Talenten und Kenntnissen des „Doctors" Simonides blos in Betreff der Talente unbedenklich finden.
3. Causidicus hat ferner auffallender Weise eine Erinnerung außer Acht gelassen, die seht für Simonides und gegen Tischendorf sprechen könnte, nämlich die seiner Zeit von dem Lezteren mit etwas mehr Zuversicht als Vorsicht ausgesprochne Verdammung des Leipziger Hermas-Manuscripts, das er für eine von Simonides fabrizirte Rückübersehung aus dem Lateinischen erklärte. Da der sinaitische Fund" einen jenem nahe verwandten Text bietet, se konnte der Uneingeweihte darin bis vor Kurzem leicht eine Bestätigung der Simonideischen Herkunft auch des Codex vom Sinai erblicken, und noch jest bleibt wenigstens ein Achselzucken hinsichtlich der philologischen Kenntnisse unseres Tischendorf und der Gedanke gestattet: wer beim Leipziger Manuscript so gröblich irrte, könnte ja auch beim sinaitischen sich getäuscht haben.
4. Die Behauptungen des Simonides über die Genesis der Handschrift erscheinen in einem mehr als zweifelhaften Lichte. Doch könnten seine Zeugen immerhin gehört werden. Das Kaffeehaus des Popensohnes' Hadschi Prodromos und der Berg Athos liegen zwar fern von Leipzig, aber doch nicht außer der Welt und außer dem Bereich der russischen Gönner Tischendoifs, und die Aussagen griechischer Kafedschis und Kaluger mögen sehr verdächtig, aber sie dürften hier doch einigermaßen beachtenswerth sein.
Unser Endergebniß. Ewald irrte schwer mit Chwolsons Fund, Lepsius und die ganze berliner Akademie mit Uranios-Simonides, Tischendorf mit dem Pastor Hermae der Leipziger Universitätsbibliothek. Es besteht, allerdings von wenig acht barer Seite angeregt, aber von respectabler Seite adoptirt, der Verdacht, daß die finaitische Handschrift möglicher Weise nicht so alt, als sie sein sollte, sondern - was nicht ohne Beispiel wäre -nur mit getreuer Copirung eines ältern Schriftcharakters geschrieben ist. Diesem Verdacht gegenüber vornehm thun, ist
nicht zu rathen. Vielmehr wäre zu dessen Beseitigung mindestens eine chemische und mikroskopische Untersuchung von competenter und nicht interessirter Seite allein von Nußen.
Und nun zum Schluß. Wir denken, vorläufig nicht. wir sind verstimmt.
Merklich erkältet senkt unser Wohlwollen die Flügel. Mühsam fortbeschworne Schatten kehren wieder, und von Neuem haben wir zu wehren, daß wir nicht den zu Anfang dieses Artikels geschilderten Versuchungen unterliegen. Also nicht mehr unser Tischendorf, unser Erasmus und Ximenes, und nicht eher wieder, als bis die Zweifel des Englishmans und die unsern widerlegt sind, wovon wir seiner Zeit nicht so sehr wegen des sinaitischen Fundes", der uns fühler läßt wie die Engländer, als im Interesse der Ehre deutscher Wissenschaft bereitwillig Notiz nehmen werden.
Aber wohlzubemerken: Causidicus hat seine Mängel, ist aber kein Simonides. Also nicht wieder das hohe Roß reiten, nicht kurz abtrumpfen. Nicht mit Worten, die mehr Selbstgefühl als Selbsterkenntniß athmen, sich um die Sache herumschlängeln, wie bei der Rücknahme des frühern Urtheils über das Hermas-Manuscript. Sondern glatte klare, ausführliche Gegenbeweise bringen; denn, wie die Grenzboten damals bei Gelegenheit der Uranios-Affaire nicht ohne einige Wehmuth sagten:
Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können irren!
Sollen wir ihn noch unsern Tischendorf nennen?
Man büßt ungern einen großen Mann ein, aber
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Merklich erfältet senkt unser Wohlwollen die Flügel. Mühsam fortbeschworne Schatten kehren wieder, und von Neuem haben wir zu wehren, daß wir nicht den zu Anfang dieses Artikels geschilderten Versuchungen unterliegen. Also nicht mehr unser Tischendorf, unser Erasmus und Ximenes, und nicht eher wieder, als bis die Zweifel des Englishmans und die unsern widerlegt sind, wovon wir seiner Zeit nicht so sehr wegen des „sinaitischen Fundes", der uns kühler läßt wie die Engländer, als im Interesse der Ehre deutscher Wissenschaft bereitwillig Notiz nehmen werden.
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Aber wohlzubemerken: Causidicus hat seine Mängel, ist aber kein Simonides. Also nicht wieder das hohe Roß reiten, nicht kurz abtrumpfen. Nicht mit Worten, die mehr Selbstgefühl als Selbsterkenntniß athmen, sich um die Sache herumschlängeln, wie bei der Rücknahme des frühern Urtheils über das Hermas-Manuscript. Sondern glatte klare, ausführliche Gegenbeweise bringen; denn, wie die Grenzboten damals bei Gelegenheit der Uranios-Affaire nicht ohne einige Wehmuth sagten:
Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können irren!
wir fint) verjhmmt.
SDicrtlidi erfüllet fcnfl unfcr 2öoblwollcn bie'glügel. 'Dlübfam fortbefrbwornc
Statten fcbren wiebet. unb von Jieuem babrn wir ju wehren, bajj wir nid>f
ben ju 'Hnfang biefeb Strtifelb gefrbilberten SJerfuibungcn unterliegen. Sllfo
nidjt mehr unfer liftbcnborf, unfcr Srabmub unb iimeneb, unb nidt>t eher
wieber, al« bie bie 3weifet beb Cfnglibbmanb unb bie unfern wiberlegt jinb, wo«
von wir feiner 3*'it — nic^t fo febr wegen beb .finaitifrben gunbeb', ber unb
lübler lägt wie bie (Snglänber, alb im 3ntereffe ber Sbre beutfd)er
2Biffenf<baf t — bereitwillig 9lotij nehmen werben.
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Sacbe b«umfrblängeln, wie bei ber SHüdnabmc beb frühem. Urtbeitb über ba»
4>ermab«‘Dlanufcri)>t. Sonbern glatte flare, aubfübrlirbe ©egenbeweife bringen;
benn, wie bie ©renjboten bamalb bei ©elegenbeit ber Uraniob«'Jtffaire nirbt
ebne einige iWebmutb fagten:
6b gibt viel St et r u g in ber ÜBelt, unb aueb bie i'eilen fönnen
irren!
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